Ich glaub', ich kauf mir ein Tief

Queenie-kauft-ein-Tief

Der Mensch kann nicht stets alles gleich gut. Du wirst morgens wach und merkst, hui, heute bin ich irgendwie … was weiß ich was. Gibt Tage, da fallen mir die passenden Wörter nicht ein, was eigentlich nur problematisch ist, wenn ich mit einem reden muss. Anderntags geht mir das Maul über, und die Sätze fließen ohne eigenes Zutun heraus, so dass ich nebenher Zeit habe zu denken, was ist denn das? Hat man mir letzte Nacht das Sprachzentrum tiefer gelegt und Heckspoiler montiert?

Ähnlich ist’s mit dem Schreiben. Tastentippen geht immer, allein die richtige Reihenfolge will mir manchmal nicht einfallen. Dann bin ich froh, dass ich einen ganzen deutschen Satz hinbekomme, doch habe ich den Punkt gemacht, tut sich gar nichts mehr. Überbelastung des Systems, der Textgenerator wurde vorsichtshalber runtergefahren. Leichte Schläge auf den Hinterkopf helfen übrigens nicht, Kopfstand schon eher.

Es gibt auch Tage, an denen ich nichts fotografiere. Ich will schon, sehe aber nichts. Wohl dem Mehrfachbegabten. Mein Künstlerfreund Rudi hat mir einmal gestanden, wenn er nicht malen könne, dann mache er Collagen, und gehe das nicht, dann würde er Gedichte schreiben. Man schwingt mental im Wind. Es gibt im Kopf Hochs und Tiefs, Flauten und Orkane, was darauf schließen lässt, dass alles vom Wetter bestimmt ist. Zur Zeit ziehen in meinem Kopf die Ausläufer von Tief Melli durch. Mal Regen, mal Sonnenschein, mal schneit es … und wieder von vorn. Tief Melli ist übrigens nach einer gewissen Melanie Irsch benannt. Sie hat von der FU Berlin die Patenschaft bei Ebay ersteigert.

Mir ist heute richtig melli im Kopf und manchmal auch irgendwie irsch. Hoffentlich hat wenigstens Melanie Irsch viel Spass mit ihrem Tief und lässt im Regen nicht die Nase hängen, weil sie quasi von sich selber nass gemacht wurde. Das hätte sie dann davon. Derzeit kann man ein Tief mit dem Buchstaben Q kaufen. Die Gebote standen um 17 Uhr bei 20,00 Euro. Namen mit Q sind selten, vermutlich gewinnt Quasimodo. „Tief Apfelpueree“ wäre irgendwie schöner.
Tief-apfelpueree
Guten Abend
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Breilöffel, Rotzfänger und der Rest

Breilöffel-und-RotzfängerHab mal geguckt, ob die Stadt noch steht, nachdem ich ein paar Tage aushäusig gewesen. Obschon ich noch nichts Böses dachte, drohte mir der Koch Horst Lichter von zwei gegenüberliegenden Plakaten mit dem Breilöffel. Schon war’s aus mit der Gemütlichkeit, denn das mediale Tuten und Blasen ums Kochen geht mir gar schrecklich auf den Geist. Das ist einfach schräg, außerordentlich befremdlich und kennzeichnet ein scheinbares Paradoxon unserer Tage, das aber bei näherer Betrachtung gar nicht paradox ist, sondern absolut plausibel. Einerseits geht es um Geschmacksverfeinerung, was ja, für sich genommen, nicht verwerflich ist, angesichts einer um sich greifenden Verelendung unterer Schichten aber etwas erstaunlich Abgeschmacktes hat; erstaunlich wegen der Dreistigkeit, mit der die pure Fressgier propagiert wird. Da wird mir ganz flau in der Magengrube.

Wer es sich leisten kann, soll lecker essen. Meinetwegen können gutsituierte Geschmäckler den ganzen Erdball nach exquisiten Genüssen abgrasen, solange sie nicht mit vollem Maul herumtönen, was sie sich alles wo und wie in die Fressluke geschoben haben. Für meinen Geschmack ist da zuviel Speichel im Spiel. Wenn Alfred Biolek mit vorfreudig wässrigen Lippen über seinen Kochtöpfen schwafelt, dann wundere ich mich, dass der Sprühnebel aus herumfliegenden Spucktropfen noch niemals die Optik der Kamera getroffen hat. Sie steht vermutlich im sicheren Abstand, anders als der leckere Salat.

Um die kulinarische Geschmacksverfeinerung stets bestens. Es gibt bald mehr TV-Köche als Hausärzte im Osten, und gewiss reihen sich die Kochbücher mindestens einmal um den Erdball. Die Welt hat Hunger, und der HErr gibt Kochbücher. Und natürlich schmeckt den seinen alles noch mal so gut, wenn ringsum hohläugige Zaungäste stehen, die mit Rezeptbüchern nichts anfangen können, weil reiche Gierhälse ihnen die Zutaten geraubt haben.

Das scheinbar Paradoxe ging mir auf, als ich die heutige Bildschlagzeile las: Lothar Matthäus: Neuer Busen für seine Schülerin. Es besteht offenbar ein krasses Missverhältnis zwischen Verfeinerung von Esskultur oder Schülerinnenbusen und dem ganzen Rest, der sich weiter oberhalb abspielt. Der menschliche Geist kriegt jeden Dreck zu fressen. Er ist zum medialen Müllschlucker verkommen, weshalb er auch neuerdings nur noch Hirn genannt wird. Dem menschlichen Gehirn widmen sich nicht Köche, sondern Hirnforscher. Sie gucken sich an, was passiert, wenn im Kopf mediale Jauche verklappt wird und welche Konsistenz die Jauche haben muss, damit sie sich besonders gut verbreitet. Siehste, und das ist überhaupt nicht paradox. Denn es geht beim medialen Getöse um Bruzzeln und Busenschnibbeln nicht um Verfeinerung der menschlichen Sinne, sondern schlicht darum, eine verrottete Gesinnung in alle Köpfe zu spülen - im Zirkus des schlechten Geschmacks.
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Hier hängen nur Zettel, wenn du befugt bist zu lesen

Für-Unbefugte

Herbert Nebenmann und ich sind uns eigentlich nicht sehr ähnlich, zumindest nicht, wenn wir gehen. Herbert ist eher zu klein geraten und ich bin für meinen Geschmack zu groß, weshalb ich ein wenig krumm gehe, während Herbert sich kerzengerade hält. Sieht man uns zusammen, straft jeder den anderen lügen. Und ein unvoreingenommener Betrachter würde finden, aus uns beiden könnte man einen Guten machen, der sich nicht recken muss, nicht krümmen, sondern einfach lässig daherschlendern dürfte. Deshalb ist es aus ästhetischen Gründen fast besser, wenn Herbert und ich einander meiden. Für sich genommen, also ohne das entlarvende Gegenbild, sieht doch jeder von uns am besten aus. Genauso sollten vielleicht nicht unbedingt ein rundnasiger und ein scharfnasiger Mensch zusammen herumgehen – aber das ist jetzt wirklich nicht mehr mein Thema.

Der durchaus enorme Größenunterschied hat zudem die unangenehme Begleiterscheinung, dass Nebenmann zu mir aufschauen muss, während ich ungewollt zu ihm hinabsehe, was mir eine gewisse Vormachtstellung einzuräumen scheint, die allerdings ganz und gar ungerechtfertigt ist. So sollten wir allenfalls nebeneinander sitzen, nicht jedoch nebeneinander gehen, was wir inzwischen auch kaum noch tun, oft jedoch während unseres gemeinsamen Studiums getan haben. Damals wollten wir einfach nicht wahrhaben, dass uns die Natur und die Gesetze der Ästhetik das Paarlaufen verbieten.

Wir hätschelten nämlich ähnliche Vorlieben und Ideen, worüber wir uns gerne gehend austauschten, ich von oben herab, er von unten herauf. Eine dieser Ideen betraf die zahlreichen Türen in den langen Gängen der Universität. Wir hatten gefunden, dass die meisten dieser Türen immerzu und jederzeit geschlossen waren. Das gab zunächst überhaupt keinen Sinn, denn wozu führen elend lange Gänge zu ungezählten Türen hin, wenn die Türen von niemandem benutzt werden? Andererseits war die Sache doch etwas vertrackter als es hier den Anschein hat.

Geschlossen waren die Türen nur, wenn Herbert und ich keinen Grund hatten, sie zu öffnen. Wenn wir also von einem Hörsaal des Pataphysischen Instituts unterwegs waren zu - sagen wir mal - einem Seminarraum im fernen Seitenflügel und tauchten in einen der halbdunklen Flure ein, schritten über die quietschenden Fliesen aus blauem Balatum und rissen mal aus purem Übermut an einer Türklinke – nie fanden wir eine offen. Hieß es aber zum Beispiel, wir hätten uns zur Besprechung einer Seminararbeit in Zimmer soundso zu melden, gelegen im Haupttrakt der 2. Etage, wo wir noch nie eine Tür offen gefunden hatten, gingen wir also hin und klopften an so eine Tür, wurde flugs von innen „Herein!“ gerufen, zumindest aber irgendwas Unwirsches geknurrt. Und traten wir dann ein, sahen wir eine Sekretärin mit der leeren Kanne in den Nebenraum gehen, wo sie aus dem Hahn überm Waschbecken Wasser holte, um dann zurückzukommen und das Wasser in die Kaffeemaschine zu gießen und mit dem Rest die Blumentöpfe auf der Fensterbank zu fluten. Und da wir diese Szenerie nicht einmal vorfanden, sondern dreimal hinter unterschiedlichen Türen, einigten wir uns darauf, dass sich uns ein kosmisches Prinzip erhellen wollte: Erst just wenn wir bestellt waren und an die besagte Tür klopften, wurde der Raum dahinter erschaffen, mitsamt Sekretärin, leerer Kaffeekanne und vertrockneten Fensterblumen. Dieses kosmische Prinzip hatte etwas Unerbittliches, gleichsam Ehernes, denn allein der Wunsch, eine gießende Sekretärin zu beobachten, reichte nicht, wie wir in folgenden Testreihen herausfanden. Immer musste ein höherer Grund vorliegen, – wir mussten bestellt sein, um eine solche Sekretärin vorzufinden.

Hier wäre zwischendurch zu erwägen, wie denn eine gerade erst entstandene Sekretärin sich erlebte. Wurde sie sich urplötzlich ihrer selbst bewusst mit einer leeren Kanne in der Hand, wenn’s an die Tür klopfte? Dachte sie dann: „Huch, das bin ja ich! Und ich muss Wasser holen!“? Dann ein Blick zur Tür, wie sie langsam aufgeht und zuerst einen gebückten Großen und dann einen gereckten Kleinen einlässt. Es entzieht sich leider der Erkenntnis, ob im kosmischen Plan der Sekretärin vorgesehen ist, dass sie sich über den grotesken Größenunterschied amüsieren kann. Wir fanden unterschiedliche Modelle vor. Mal wurde keine Miene verzogen, mal wurden die Augen erstaunt gerundet, mal glitt ein verstecktes Grinsen übers Sekretärinnengesicht. Wasser holen – ausgießen – nach dem Begehr fragen und eine maulfaule Auskunft geben, das sind die beobachtbaren Abläufe im kosmischen Plan einer solchen Sekretärin, weshalb sie den Vorgang des Wasserholens bis hin zum Ausgießen auch so recht auszukosten und in die Länge zu ziehen trachtet. Denn sobald Nebenmann und ich wieder gegangen waren, tauchte sie ja erneut in einen unwägbaren Dämmer, aus dem sie erst erwacht, wenn jemand an die Tür klopft, der herbestellt ist.

Ein Schluck Wasser - ah, das tat gut – und weiter:

... und zurück in die Gegenwart, vielmehr in die just erst ein bisschen vergangene Gegenwart. In meinem eigenen kosmischer Plan ist nicht vorgesehen, die Bilder einer bestimmten Ausstellung zu sehen. Zuerst stahl sich der dazu vorgesehene Donnerstag davon, wollte mit diesem und jenem verbracht werden, nicht aber mit Bildbetrachtungen. Der Freitag gab sich freimütig, ließ sogar die Sonne blinzeln, was jedoch, wie sich später herausstellte, eine Finte der kosmischen Vorsehung gewesen ist. Denn ich vergaß deshalb, meine Lesebrille einzustecken, da ich nämlich von mir weiß, dass ich unter der hellen Sonne alles ohne Brille sehen kann, selbst kleinste Miniaturen, gemalt mit einem einzigen Schamhaar. Der Leser möge das Wort „einzigen“ entschuldigen, weil doch solch ein vereinzeltes Haar weit weniger erquicklich ist als … - vom Thema abgekommen.

Jacke-mit-ohne-BrilleNun begab es sich, dass im Ausstellungsgebäude alle Fenster verhängt waren. Die Räume lagen nicht gänzlich im Finstern, denn man hatte sehr wohl mit ein paar Funzeln für ein bisschen Licht gesorgt. Doch um die Zeichnungen an den Wänden wirklich betrachten zu können, hätte sich in meinen diversen Taschen die Brille finden müssen. Das tat sie aber nicht, obwohl ich ihr alle Zeit der Welt ließ, sich zu materialisieren. Die Ausstellung zeigte Originalzeichnungen aus der satirischen Zeitschrift „Eulenspiegel“, die zu DDR-Zeiten gar eine Auflage von 500.000 Exemplaren gehabt hatte. Satirische Zeichnungen zu fertigen unter den gewiss sorgsam bebrillten Augen von Zensurbeamten, das verlangt nach Zeichnern, die sich auf das Arbeiten unter bedrückenden Bedingungen verstehen. Vermutlich kommen deshalb die meisten der DDR-Zeichner aus handfesten Berufen, waren Schlosser, Monteure oder Bauzeichner gewesen, bevor sie das harte Brot geduckter Satiriker essen durften. Meine liebenswerte Begleiterin erbot sich, mir die Bildunterschriften vorzulesen, doch ich zog es vor, die Bildtexte nicht zu erfahren, denn die durchaus gekonnten Zeichnungen erinnern stilistisch an die Witze in der Bäckerblume oder in Kreuzworträtselheften. Vermutlich hatte ich die Brille vergessen, weil virtuos gezeichnete Harmlosigkeit pures Gift ist für mein zartes Gemüt. So blieb mir das ganze Elend verschlossen und nur eine Zeichnung in Erinnerung. Unter einer Tafel mit der Aufschrift „Information“ saß hinterm Tisch ein Mann mit Brille, aber ohne Mund.

Aus purem Trotz fragte ich später den Glatzkopf hinter der Kasse, warum die Bilder nicht ordentlich ausgeleuchtet wären. Er tat’s Maul auf und sagte, dass jede Lichteinwirkung den Bildern schade, und man wolle sie schließlich auch in hundert Jahren noch zeigen. Diese artige Idee war irgendwie tröstlich, wo man doch nicht mehr so recht daran glauben mag, dass der kosmische Plan der Menschheit so weit in die Zukunft ragt. Also ich bin dann glücklich tot.
„Ich habe gestern einen Urlaub in der Türkei gebucht. Ein bisschen Party machen. Und wenn ich zurückkomme, habe ich die richtige Bräune für den Abiball, hihi.“

„Ach, ich habe im Moment sowieso mit den Knien zu tun und weiß gar nicht, welche Schuhe ich anziehen soll. Das liegt am unnatürlich warmen Wetter. Früher waren doch Februar und März die kältesten Monate.“

Aus der Fülle der
Menschenkinder bescherte mir der kosmische Plan bislang immerzu Mitreisende, die solche und ähnliche Sätze sagen müssen. Ich besteige den ICE, suche meinen reservierten Platz auf, und genau da sitzen Menschen ringsum, deren Unterhaltungen mich unerwünscht in bodenloses Grübeln stoßen. Die eine Lebenswelt will man sich nicht vorstellen müssen, die andere eigentlich ebenfalls nicht. Und dann musste ich auch noch der älteren Dame beinah recht geben, denn als in Hamm der ICE geteilt wurde, trat ich auf den Bahnsteig, einerseits um zu rauchen, anderseits, damit ich mal in Hamm gewesen bin. Da war es tatsächlich so warm, dass ich vorsichtshalber meine Kniegelenke testete. Und als ich mich wieder auf meinen Fensterplatz setzen wollte, musste sich mein Nebenmann erheben. Wegen der Gefahr für seine Knie, warnte ich: „Der Frühling ist ausgebrochen.“

Dieser Mann hatte beim Reiseantritt schon meine Aufmerksamkeit erweckt, als er neben mir Platz nahm und dabei die auf dem Platz liegende Bahnzeitschrift ignorierte. Dann hatte er bis Hamm wie absichtsvoll auf ihr gesessen, weshalb ich nicht wusste, ob es ein Versehen war oder ob er vielleicht einer seltsamen Bahnfahrersekte angehörte, deren Mitglieder sich grundsätzlich auf Zeitschriften setzen, weil sie die Theorie vertreten, Sitzpolster würden mikrobiotische Weltreiche beherbergen, mit denen man sich besser nicht gemein macht. Wunderlich fand ich auch, dass wir ähnliche Kleidung trugen, schwarzes Jackett, dunkelgraues Hemd und Jeans, als hätten wir uns abgesprochen. Allerdings war sein schwarzer Mantel dünner als meiner, quasi für den in Hamm ausgebrochenen Frühling gemacht, was er mir durch Anheben demonstrierte. Er habe eine Lesung hinter sich, sagte er, als wir wieder saßen. Eine halbe Stunde habe er auf der Leipziger Buchmesse gelesen, und das sei nicht besonders erbaulich gewesen, weil ein anderer Autor in der Nähe ihn per Lautsprecher zu übertonen drohte. Aber was hätte er machen sollen, der Verlag habe ihn zu dieser Lesung genötigt oder gebeten und so. Bald stellten wir einander vor, er war und ist vermutlich immer noch der Musiker, Autor und Zeichner Eugen Egner, und ich bin ja ich, das stand jedenfalls auf der Visitenkarte, die ich ihm gab. Wir sind, wie wir herausfanden, Titanic-Kollegen. Sähe Eugen Egner wie seine gezeichneten Figuren aus, dann hätte er irgendwo an seinem Körper vielleicht eine groteske Ausbuchtung oder er trüge auf seinem Rücken eine aufgeschnallte Truhe.

Dem war nicht so, und die Zeitschrift hat er dann auch endlich ins Netz des Vordersitzes geschoben. Wir redeten bis Wuppertal, das dem Gefühl nach gleich hinter Hamm auftauchte. Ach, warum kann’s nicht immer so kurzweilig gefügt sein in der Welt, aber nein, hinter Köln ging das Elend von neuem los, mein kosmischer Plan sah vor, dass ich anhörte, wie ein Vater seiner kleinen Tochter erklärte: „Jetzt hat er gepfeift, und wir fahren los.“ Ich habe Egner ins Teppichhaus eingeladen und ihm gesagt, er solle mal auf den Button „Spasss im Teppichhaus“ klicken. Und als ich zu Hause mal probeweise drauf klickte, tat’s der Link nicht, und ein Text behauptete, dass es unter diesem Tag keine Einträge gäbe, was mich dann ziemlich geärgert hat, weshalb ich hier geschrieben habe, wie mir das vorkam. Wie unprofessionell mir das wirklich vorkam, habe ich allerdings nicht geschrieben. Die Sache mit dem nicht funktionierenden Link ließ mich jedenfalls an Herbert Nebenmann denken und an die Türen, hinter denen sich die Räume erst auftun, wenn man hinbestellt ist.

Iss Yummy Yummy

Ah, die ewigen Rätsel, wer den Menschen eigentlich hin- oder herbestellt, wo das kosmische Register geführt wird, in dem verfügt ist, welche Türen sich öffnen, welche nicht, welche Zettel einer lesen, welche Zeichnungen betrachten darf, welche Links funktionieren, wann und warum man eine Sekretärin beim Wasserholen zu sehen kriegt oder Egner, wie er auf einer Bahnzeitschrift sitzt. Und warum muss ein Riesenweib mir befehlen, „Yummy Yummy“ zu essen, wenn ich hungrig durch die Kölner Bahnhofshalle streiche und nicht mal weiß, wie das Zeug überhaupt schmeckt? Das soll mir bei Gelegenheit mal einer erklären.
E N D E
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Per Taxi durch die Geschichte


Der türkische
Taxifahrer, der mich heute in die Voreifel fuhr, machte darauf aufmerksam, dass die Graf-Schwerin-Straße umbenannt worden ist. Tatsächlich war das alte Schild durchgestrichen und darüber prangte ein neues. Das obere Straßenstück zum südlichen Ortsrand von Aachen hin hieß schon immer Kornelimünsterweg. Jetzt heißt die ganze Straße so. Wozu der Aufwand?

Wehrmachtsgeneral Gerhard Graf von Schwerin war 1944 Stadtkommandant von Aachen gewesen und hatte am 13. September 1944, wenige Wochen vor dem Einrücken der Alliierten Truppen, die beiden Burtscheider Jungen Karl Schwartz (14) und Johann Herren (14) wegen angeblichen Plünderns hinrichten lassen. Nach dem Krieg durfte sich FDP-Mitglied Graf von Schwerin ins Goldene Buch der Stadt Aachen eintragen, 1963 benannte man eine Straße nach ihm, passender Weise in Aachen-Burtscheid. Natürlich wurde von Schwerin nicht wegen der Schandtaten an Karl Schwartz und Johann Herren geehrt, sondern weil er die Stadt angeblich vor ihrer Zerstörung bewahrt hatte. Dafür haben die Historikern der RWTH Aachen jedoch keine Beweise gefunden. Im August 2007 hat sich der Rat der Stadt Aachen von dem peinlichen Straßennamen getrennt.

Ich fühlte mich seltsam berührt und ein wenig beschämt, als ich dem türkischen Taxifahrer erläuterte, warum die Straße umbenannt worden ist. Nationalgefühl ist unteilbar. Wenn wir zum Beispiel stolz auf unsere Verfassung sind oder darauf, dass Deutschland bereits dreimal Fußballweltmeister war, können wir nicht so tun, als gingen uns die beschämenden Aspekte der deutschen Geschichte nichts an, zumal sie, wie das Beispiel zeigt, weiterhin in die Gegenwart ragen. Der Taxifahrer sagte, er lebe schon 25 Jahre in Deutschland und habe einen deutschen Pass. So fuhren also zwei Deutsche durch die ehemalige Graf-Schwerin-Straße, doch für den türkischen Deutschen fühlte sich die Sache vermutlich anders an als für mich.

Dass Wikipedia nicht frei ist von subjektiven Darstellungen, kann man auch am Eintrag über Graf von Schwerin ablesen. Vielmehr kann man es nicht lesen, weil Angaben zu Schwerins Schuld an der Ermordung zweier Jugendlichen fehlen. Lediglich ein Literaturhinweis stellt den Zusammenhang her zwischen Gerhard Graf von Schwerin, Karl Schwartz und Johann Herren.

Im Jahre 1951 erstatteten die Eltern der beiden Jungen Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Aachen. Das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde eingestellt, da die standrechtliche Erschießung dem damals geltenden Recht entsprochen habe. Erst am 18. Februar 2005 wurde das Todesurteil durch das Oberlandesgericht Köln aufgehoben. Zwischen Unrechtsurteil und seiner Revidierung liegen fast 60 Jahre. Leider hat der Aachener Stadtrat eine Chance vertan. Ein Strich durch Graf-Schwerin-Straße und darüber „Schwartz-Herren-Straße“, das wäre ein Zeichen der Wiedergutmachung gewesen.


Guten Abend
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Lob der Leistungsträger

auf-Knoellchen-warten

Ja, so ging’s
zu heute in Aachen. Und offenbar wurden besonders die Autofahrer „auf eine Geduldsprobe gestellt“, standen irritiert neben den Fahrzeugen und warteten vergeblich auf ihre Knöllchen. Ab und an war zu beobachten, wie einer aus Verzweiflung irgendeinen Zettel hervorkramte, ihn zerknüllte und in die Gosse warf, in Ermangelung eines echten Strafzettels. Der Müll allerdings wurde abgeholt. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie der Müllwagen vorfuhr, und hintendrauf stand ein einzelner Mann in Grellorange. Er sprang ab, wuchtete die Mülleimer an die beiden Einfüllschächte und warf  die Tonnen nach ihrer sachgemäßen Entleerung an den Randstein. Diese kleine Nachlässigkeit habe ich ihm sogleich verziehen, denn er war ja völlig allein unterwegs.

KehrmännchenEs handelte sich vermutlich um den Leiter des Stadtbetriebs höchstpersönlich. Das Kunststück, in einer Einzelaktion die gesamte Stadt zu reinigen, hat er anscheinend schon einmal vollbracht, als es galt, die Straßen von den ekligen Müllfluten des Straßenkarnevals zu säubern. Für diese Großtat hat er von Gloria Fürstin von Thurn und Taxis höchstselbst einen Orden erhalten. Es ist nebenbei zu loben, dass sich der deutsche Adel um die Abfallbeseitigung verdient macht. Deshalb ist der Leiter des Stadtbetriebs sich auch nicht zu schade ist, den Streik der Kehrmännchen zu brechen. Leistungsträger streiken eben nicht, und so hat vermutlich im Laufe des Tages der Oberbürgermeister persönlich die wartenden Autofahrer mit saftigen Knöllchen erlöst.

Das erklärt, warum die Bürger den Streik im öffentlichen Dienst ganz gelassen nehmen, wie man den Presseberichten entnehmen kann. Das wird schon wieder, solange nur die Leistungsträger nicht streiken. Erst das wäre verheerend. Man stelle sich vor, die Aufsichtsräte der IKB hätten gestreikt, als es darum ging, den Steuerzahler um lästige 6,5 Milliarden Euro zu erleichtern. Oder die Chefs von BMW sollten grad mal auf einen Rutsch 3.500 Menschen um Lohn und Brot bringen und würden sagen: "Machen wir nicht, wir streiken." Bitte, bester Leser, stellen Sie sich die Auswirkungen auf andere Bereiche selbst vor. Einen Verzicht auf das segensreiche Wirken unserer Leistungsträger kann ich nicht weiter ausmalen, da streikt sogar meine Tastatur. Übrigens wollen die Leistungsempfänger der Bahn demnächst auch wieder streiken, wegen Bahnchef Mehdorns Trickserei. In diesem Falle wünsche ich mir jedoch dringlich, dass statt der Lokführer der Leistungsträger Mehdorn in den unbefristeten Streik tritt, und zwar für die nächsten 25 Jahre. Das sollte reichen, das Volkseigentum Deutsche Bahn vor ihm in Sicherheit zu bringen.

Guten Abend

1330 mal gelesen

Rosa Zeiten für Kinder

Rosa-Glückskind-

Man sollte nicht
denken, dass es rosige Kinder nur auf Plakaten gibt. Heute habe ich so ein Glückskind auf der Straße gesehen. Es war ein magerer kleiner Junge, der im sicheren Abstand hinter einem Mann herging und trotzdem versuchte, mit ihm Schritt zu halten. Der Kleine trug eine schwarze Lederjacke wie der Mann, und mit gutem Willen könnte man die Gesichtsfarbe des Jungen rosa nennen. Das hatte jedoch mit dem raschen Gehen und der Kälte zu tun. Die kurzen Haare des Jungen waren mit Gel zu einem Kamm aufgestellt. Seine Miene angestrengt, ängstlich verzerrt, und Augen, die offenbar schon Übles gesehen hatten. Er war ein frühreifes Kind und wirkte so rachitisch, als sollte er nie so alt werden wie er aussah.

Es hat eine innere
Logik, dass Kinder in schwierigen Lebensverhältnissen rascher altern, denn Armut verkürzt die Lebenserwartung. Darum müssen Arme auch früher als gewöhnlich Kinder zeugen oder bekommen. Denn auch Arme fühlen sich von der Natur zur Fortpflanzung gedrängt, und gerade dann, wenn die Verhältnisse hart sind. Allerdings hinkt hier die natürliche Prägung der gesellschaftlichen Entwicklung hinterher. In früheren Zeiten waren viele Kinder die Altersversorgung der Eltern. Heute sind Kinder ein Armutsrisiko. Und arme Eltern entlassen ihre Kinder ebenfalls in die Armut, denn mit einfacher Arbeit lässt sich der Lebensunterhalt nicht mehr verdienen, und das gilt nicht nur für Unqualifizierte, sondern auch für viele Angehörige des ehrlichen Handwerks.

Woran liegt das nur? Unsere Gesellschaft verliert die Mittelschicht. Sie teilt sich in arm und reich. Eine Gesellschaft mit schwacher Mittelschicht organisiert sich, soziologische betrachtet, vertikal. Das heißt, die gesellschaftlichen Schichten sind nur wenig durchlässig, weil ein Bindeglied fehlt. In einer solchen Gesellschaft kann man kaum aufsteigen. Dadurch verringert sich die Effizienz einer Gesellschaft, denn wo es keine Durchmischung gibt, können sich Talente aus unteren Schichten nicht entwickeln und somit nichts zur gesellschaftlichen Produktivität beitragen. Diese beunruhigende Entwicklung vollzieht sich nicht im Verborgenen. Die neoliberalen Politiker der herrschenden Parteien lassen sie sehenden Auges zu. Nach Auskunft der Sozialverbände begann die Verteilung von unten nach oben mit der Ära Helmut Kohl. Die Hartz-Beschlüsse der Regierung Schröder unter Mitwirkung der CDU/CSU haben die Ausplünderung der unteren und mittleren Schichten noch verschärft. Und unter Merkel geht es radikal weiter, denn inzwischen kann man da leider nichts mehr machen. Es liegt alles nur an der bösen Globalisierung.

Unsere Gesellschaft sei „Wildwest ohne Sheriff“, sagt der Kabarettist Georg Schramm. Gewiss könnte der Kleine von heute Nachmittag genau sagen, wie sich das anfühlt.

Guten Abend
1246 mal gelesen

1a rangewanzt

politische-BildungVielen Dank, ARD,

für diesen Beitrag zur politischen Bildung. Da soll niemand behaupten, das öffentlich-rechtliche Fernsehen würde GEZ-Gebühren verplempern und seinen Bildungsauftrag nicht erfüllen. „Die wichtigste Wahl des Jahres – Vote for Music“ ist die ultimative Antwort auf öde Landtagswahlen in Niedersachsen, Hessen, Hamburg und demnächst in Bayern. Politik ist was für Schnarchsäcke. Die Zukunft der Jugend liegt nicht in politischer Teilhabe, sondern im Herunterladen von Klingeltönen und in der Vorbereitung auf Castingshows. An diese Zielgruppe muss man sich rechtzeitig ranwanzen, bevor die ollen Volksmusik-Liebhaber weggestorben sind - im Zirkus des schlechten Geschmacks.
1328 mal gelesen

Frau Nettesheim ist ungnädig

trithemius & Frau Nettesheim
Trithemius
Warum haben Sie es denn jetzt noch mal schneien lassen, Frau Hol …

Frau Nettesheim
Nettesheim. Und die Herrscherin der Unterwelt heißt Holle oder Hel und nicht Hol.

Trithemius
Erst lassen Sie mich nicht ausreden, und dann schurigeln Sie mich.

Frau Nettesheim
Es wird Zeit, dass Sie die düstere Gedankenwelt verlassen, in die Sie sich und Ihre armen Leser mit der Geschichte in drei Tagen versetzt haben.

Trithemius
Darin spiegelte sich halt meine Verfassung, Verehrteste. Ich kann doch nicht immer nur rumjuxen, zumal im elenden Februar nicht, der heuer noch einen Tag mehr hatte als sonst.

Frau Nettesheim
Und deshalb haben Sie Ihre düstere Februarstimmung mutwillig bis zum 2. März ausgedehnt? Das kommt mir vor, als würde sich einer drei Tage auf einen Eisblock setzen und jammern, mir ist kalt.

Trithemius
Ich hatte gehofft, dass während des Schreibens viele Kommentare eingehen, die mir das Herz wärmen. Dann hätte sich der Lauf der Geschichte vielleicht zum Guten gewendet.

Frau Nettesheim
Sie brauchen ganz augenscheinlich Sonne, düsterer Herr. So eine verquere Idee habe ich schon lange nicht gehört.

Trithemius
Was denn, Frau Nettesheim, das war doch Teil meines Experiments. Ich wollte mich beim Schreiben von den Ideen anderer beeinflussen lassen.

Frau Nettesheim
Das hätten Sie im Prolog sagen müssen.

Trithemius
Ja, muss ich denn immer alles erklären? Konnte man es nicht gegebenenfalls erraten oder wenigsten ahnen und oder spüren, hinein interpretieren und so weiter?

Frau Nettesheim
Nein. Dazu war Ihr Prolog zu selbstbezüglich.

Trithemius
Sie sind heute irgendwie gnadenlos, Frau Nettesheim. Was sollen denn die Kunden denken?

Frau Nettesheim
Das hätten Sie sich fragen müssen, während Sie „Das Verzeichnis“ geschrieben haben. Sie haben einen einsamen Protagonisten erfunden, der keinen Besuch empfängt, und wundern sich, dass die Besucher wegbleiben?

Trithemius
Vielleicht hat es auch gar nichts mit mir zu tun, Frau Nettesheim. Als ich heute den Friseurladen betrat, saß mein Friseur einsam an der Kasse und sortierte Zettel. Das ließ er sofort bleiben und komplimentierte mich zum Haare waschen. Und als er später hurtig an meinen Löschen herumfitschte, sagte er plötzlich: „Wie ruhig es ist. Wo sind die alle?“ Und ich sagte: „Keine Sorge, die kommen wieder raus, sobald die Frühlingssonne scheint.“ Da habe ich ihm allerdings verschwiegen, wie frostig Sie derzeit gestimmt sind, Frau Nettesheim. Sie werden’s gewiss noch ein paar Tage schneien lassen. Vielleicht sollte man mal ein eisiges Strumtief nach Ihnen benennen. Helene klingt auch viel kühler als Emma.

Frau Nettesheim
Und Sie klingen heute, als wollten Sie sich bei mir unbeliebt machen.

Trithemius
Um Himmels Willen. Ich hab ja gar nichts gegen Eis. Es kann zuckersüß sein. Aber lassen's trotzdem das Bettenausschütteln, liebe Frau Holle.

Frau Nettesheim
Ach, Trithemius. Ein Witz wird nicht besser, wenn man ihn zweimal macht.
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Ordnung durch Telekinese

Ordnen Sie den Satz mit der Kraft Ihrer Gedanken. Vielen Dank.

drängeln
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