Teurer Kaffeelöffel - Eine Fahrt mit der Linie 9 (9)

1) Die Uhr wird geputzt
2) Rein in die Wassersenke
3) Dosenpfand und kleine Finger

4) Grüß mir den Kartoffelbrei
5) Lange Straße - Dauerbrot
6) Grau in den Speckgürtel
7) Verlust der Sieben
8) Bothfelder Zahlenmagie

Es gibt Tricks, sich zu überlisten. Manche brauchen sie nicht, aber ich. Manchmal mag ich nicht abwaschen, prokrastiniere, bis ich kein sauberes Geschirr mehr habe. Dann ist es unumgänglich zu spülen, aber der Berg von Geschirr und Besteck schreckt mich ab. Vor mir das Spülbecken, und darin so viele Teile, die gespült werden wollen. Da möchte ich am liebsten gleich wieder aufhören. Dann stelle ich mir vor, dass ich für jedes Teil, das ich abwasche, den doppelten Betrag von x bekomme, also 1+2+4+8+16 usw. Wenn die letzten Löffel abzuwaschen sind, bringt mir jeder Löffel, den ich noch aus dem Spülwasser fische, bereits mehr Millionen, als ich überhaupt haben will, ich werde beim Spülen steinreich. Dann bin ich froh, wenn die Belohnung in realistischen Dimensionen bleibt. Bei 27 Teilen habe ich bereits über 67 Millionen. Wie will das Leben eine solche Verheißung wahr machen? Vom Tellerwäscher zum Millionär, das ist, was mich betrifft, unerreichbar.

Stell dir vor, du bist ein humanoider Außerirdischer und hast dich auf eine interstellare Reise begeben, willst dir das Sonnensystem der Erde ansehen. Das liegt weit draußen im Spiralnebel. Du hast aber nur eine Karte für Zone 1 gelöst, also für das Zentrum unserer Milchstraße. Dich erwischt ein galaktischer Kontrolleur, du kannst nicht nachzahlen, da setzt er dich einfach vor die Tür, nämlich auf der Erde ab. Um die Rückfahrkarte zu deinem Heimatplaneten bezahlen zu können, musst du den Gegenwert von etwa 67 Millionen Euro verdienen.

Was könnte man dir raten? In welcher Branche könntest du rasch 67 Millionen Euro verdienen? Ehrliche Arbeit kommt da nicht in Frage. Du müsstest schon Finanzspekulant werden oder ein Finanzberatungsunternehmen gründen wie Carsten Maschmeyer seinen Allgemeinen Wirtschaftsdienst (awd). Er besitzt gut 10 mal soviel und könnte eine interstellare Fahrkarte für die Spiralnebelzone 2 locker bezahlen, macht es aber nicht. Inzwischen ist er derart integriert in ein machtvolles Netzwerk, befreundet mit Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, Bild-Chefredakteur Kai Diekmann und Bundespräsident Christian Wulff, einen „Shootingstar“ nennt die Süddeutsche ihn. Warum sollte er das aufgeben?

Ich habe nachgesehen, wohin die Linie 7 jetzt fährt. Wem wurde die Glück verheißende Sieben zugeleitet? Kurz hinter der Bothfelder Weiche, wo Linie 7 und Linie 9 sich trennen, stehen linker Hand die Bürohochburgen von HDI Gerling und dem awd. HDI/Gerling gehört zur Talanx Versicherungsgruppe, und der wiederum gehören Anteile an der Swiss life, der jetzigen Eigentümergesellschaft des awd, an der Maschmeyer beteiligt ist.

Leere BahnDie Bahn ist an der Endhaltestelle der Linie 7 völlig leer. Inzwischen ist es dunkel, aber in den Büros von HDI/Gerling und in der awd-Zentrale brennt noch Licht. Der Tausch der Linien 9 und 7 scheint plausible Gründe zu haben. Doch könnte man nicht plausible Gründe für jede Änderung des Linienplans finden? Vielleicht sind sie nur vorgeschoben und dahinter steckt etwas ganz anderes, die abergläubische Marotte eines Glücksritters und Finanztycoons. Angenommen Maschmeyer wollte die Linie 7 haben, damit sie an seinen Gelddruckmaschinen vorbeifährt, hätte die ÜSTRA diesem Ansinnen widerstehen können? Wohl kaum. Was weiß ein einfacher Fahrgast der Stadtbahn schon über die wahren Gründe städtebaulicher oder verkehrspolitischer Entscheidungen. Seine Welt wird von mächtigen Netzwerken gestaltet, und selbstsüchtige Entscheidungen der Mitglieder dieser Netzwerke werden ihm als Sachzwänge verkauft, dem Allgemeinwohl verpflichtet. Was diese Welt zusammenhält, ist die Lüge, und das ist so wahr wie mein 27. Löffel keine 67 Millionen Euro wert ist.

E N D E

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Bothfelder Zahlenmagie - Fahrt mit der Linie 9 (8)

1) Die Uhr wird geputzt
2) Rein in die Wassersenke
3) Dosenpfand und kleine Finger

4) Grüß mir den Kartoffelbrei
5) Lange Straße - Dauerbrot
6) Grau in den Speckgürtel
7) Verlust der Sieben

Wir steigen in Bothfeld an der Nicolai-Kirche aus. Eine Theatergruppe plakatiert am Kirchturm „Arsen und Spitzenhäubchen“. „Die Kirche wird auch für Aufführungen genutzt“, sagt mein Bothfelder Gewährsmann. „Und manchmal treten da solche Promis auf, die man nicht mal mehr beim Privat-Fernsehen haben will. Demnächst kommen die Don-Kosaken.“ Er will im Gemeindeamt Karten kaufen, ein Don-Kosaken-Geburtstagsgeschenk für seine Mutter. Wir verabschieden uns, und ich bedanke mich. „Da nicht für!“, ruft er freundlich und hastet davon. Ich bummle einmal rund um die Kirche und begegne ihm wieder, wie er aus dem Gemeindeamt kommt. „Da drinnen sitzen drei ältere Damen“, sagt er, „die können Ihnen gewiss mehr erzählen.“

In Wahrheit ist nur eine der Damen älter. Sie hat ein weißes Pflaster auf der Schläfe und trägt es wirklich wie eine Dame. Ich will wissen, warum die Bothfelder sich über den Linientausch geärgert haben. Sie kann es mir nicht so recht erklären, obwohl sie durchaus der Sprache mächtig ist. Die ÜSTRA habe den Linientausch auf dem Platz vor der Nicolai-Kirche groß feiern wollen. „Ich bin Kirchenvorsteherin, daher weiß ich es. Aber wir hatten dort schon eine andere Veranstaltung.“ Dabei lächelt sie süffisant. Dieser subtile, kaum noch christlich zu nennende Protest gegen die feierselige ÜSTRA wegen eines Nummertauschs? Faktisch hat sich für die Bothfelder nichts verändert, nur die Nummer an der Straßenbahn. Zum Fasanenkrug fährt nicht mehr die Sieben, sondern die Neun. Stadtbahn.de erklärt:

„Im Dezember 2009 werden die nördlichen Streckenäste der Linien 7 und 9 getauscht, um künftig auf den Strecken Wettbergen - Altwarmbüchen und Wettbergen - Misburg ausschließlich die neuen Wagen der Reihe 3000 fahren lassen zu können. Die Linie 7 fährt seitdem den ganzen Tag vorerst bis Lahe (jetzt Paracelsusweg) und wird in 2010 bis Misburg verlängert.“

Das Ärgernis ist offenbar ein Fall von Zahlenmagie, und sogar Frau Kirchenvorstand der Nicolai-Kirche macht mit. Die Sieben gilt als die heilige Zahl schlechthin und landläufig als Glückszahl, die Neun kommt in der biblischen Zahlenmystik nicht vor.

Die technokratischen Heiden von der ÜSTRA hätten sich denken können, dass die Bothfelder ihre heilige Sieben nicht missen wollten. Sie hat offenbar das Lebensgefühl der Bothfelder positiv geprägt, bis hin zum Überschwang. Es gibt sogar eine Bothfeld-Hymne: "Bothfeld hat alles", nur keine Sieben mehr. Man reimt "keine Berge" auf "keine Zwerge" - und bleibt "Bothfeld treu für alle Zeit."



Das hätte der Student Benno Ohnesorg beherzigen sollen, statt in das kalte Berlin zu gehen. Da konnte ihm die Sieben kein Glück bringen. Er wurde am 9. Juni 1967 auf dem Bothfelder Stadtfriedhof begraben. Immerhin verbindet die Linie 9 jetzt die nach ihm benannte Brücke und seine letzte Ruhestätte.

Die Kirchenvorsteherin verweist mich noch auf einen Artikel in der HAZ zum Thema Linientausch. Lesenswert sind auch die Kommentare. "Wettberger" behauptet, regelmäßig würden Fahrgäste mit Migrationshintergrund sich wegen des Linientauschs verfahren, wenn sie in "keine Berge" wollen, sondern zum Fasanenkrug.

Fortsetzung Teurer Kaffeelöffel
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Verlust der Sieben - Eine Fahrt mit der Linie 9 (7)

1) Die Uhr wird geputzt
2) Rein in die Wassersenke
3) Dosenpfand und kleine Finger

4) Grüß mir den Kartoffelbrei
5) Lange Straße - Dauerbrot
6) Grau in den Speckgürtel

Wenn Bothfeld zum Speckgürtel Hannovers gehört, dann ist es durchwachsener Speck. Im alten Ortskern gibt es historische Bauernhöfe in Fachwerkbauweise mit frommen Sprüchen auf den Balken. Bothfeld hat Neubauviertel mit freistehenden Eigenheimen, aber auch Plattenbauten aus den 70er Jahren. Die Metapher Speckgürtel ist bei Wikipedia hübsch erklärt:

„Erhebliche soziale, ökonomische und ökologische Probleme entstehen dadurch, dass die umliegenden Gemeinden insbesondere durch die Stadt-Umland-Wanderung relativ einkommensstarker Haushalte wachsen und vom breiten Infrastrukturangebot der Kernstadt profitieren, ohne über Steuern zu dessen Finanzierung beizutragen. Auch arbeitet ein Großteil der Erwerbstätigen als Pendler in der Kernstadt, zahlt die Lohn- und Einkommensteuern aber in den Wohnsitzgemeinden. Der Begriff „Speckgürtel“ bezieht sich ironisch auf dieses Missverhältnis.“

Wenn der Speck wächst, geht das zu Lasten der darunter liegenden Muskelschichten. Das erklärt, warum die Städte innerhalb der Speckgürtel einen Bereich haben, der mehr oder weniger verkommen wirkt. In Hannover kann man das überall beobachten. Bevor man den Speckgürtel erreicht, muss man durch einen Gürtel der sozialen Deprivation, wo die Menschen einiges zu stemmen haben. Die Ortsteile Bothfeld und Isernhagen gelten als bevorzugte Wohngebiete.

Die Endhaltestelle der Linie 9 liegt direkt hinter einer Autobahn, an der Grenze zu Isernhagen. Die Bahn dreht hier mit quietschenden Rädern auf einem engen Gleisrund zwischen Autobahn und Waldrand. „Fahrgäste bitte aussteigen!“, befiehlt vorher die freundliche Frauenstimme, die alle Ansagen der ÜSTRA (Überlandwerke und Straßenbahnen Hannover AG) macht. Sie gehört der Schauspielerin und Synchronsprecherin Katrin Decker. Viele Leute bleiben gleich auf dem Bahnsteig stehen und warten auf den Bus, der sie auf die umliegenden Gemeinden verteilt. Ich bummle hinüber zur anderen Seite des Gleiskörpers. Da ist ein Kiosk, wo ich mich schlau fragen will. Die Frau hinterm Tresen lächelt verlegen und gibt an, nichts zu wissen. Sogar wo der Tabak liegt, den ich kaufen will, muss ich ihr zeigen. „Zweites Regal von unten, die dritte Packung von rechts!“ Sie sucht links.

Fasanenkrug
Im Jahr 1987 ist der alte Fasanenkrug abgerissen worden. Das zum Biergarten des Fasanenkrugs gehörende 100-jährige Hexenhaus blieb stehen. Man hat ein kleines Einkaufszentrum errichtet, das einen Optiker, einen Getränkemarkt und eine Reinigung beherbergt sowie einen neuen Fasanenkrug. Das Hexenhaus wirkt deplaziert, und der Biergarten ist um diese Jahreszeit verödet. Auf einem Waldweg, den man vom Parkplatz des Restaurants Fasanenkrug erreicht, kommt mir aus der Ferne mit forschem Schritt ein kräftiger Mann entgegen.

Ich bin noch auf der Höhe des Biergartens, als er mich erreicht. Er trägt eine Mütze, und ich habe nicht gesehen, dass er Musik hörte. Als ich ihn anspreche, nimmt er die Stöpsel aus den Ohren. „Guten Tag! Kennen Sie sich hier aus?“„Ja“, sagt er, „ich bin hier aufgewachsen und als kleiner Junge überall mit dem Fahrrad herumgefahren.“ „Was gibt es denn hier Besonderes?“ „Früher war hier mal eine Aufzuchtstation“, sagt er und deutet wegwerfend zum Biergarten bin. "Ich habe mein Meerschweinchen hingebracht. Aber jetzt ist ja alles neu bebaut.“ Warum hieß das alte Ausflugslokal Fasanenkrug? „Es gibt hier tatsächlich noch Fasane. Wenn Sie durch den Wald gehen zu den Feldern hin, da gibt es noch Goldfasane.“

Der Mann hat es eilig: „Ich muss nämlich in einer halben Stunde meiner Frau die Monatskarte geben. Deshalb muss ich die Bahn hier kriegen. Kommen Sie mit, dann erzähle ich Ihnen noch was.“ Wir steigen in die Linie 9 Richtung Empelde. Er schimpft auf die 9. „Früher fuhr die Linie 7 zum Fasanenkrug, 55 Jahre lang, aber 2009 hat die ÜSTRA die Nummern getauscht. Die 7 fährt zur Schierholzstraße und hierher die 9. Darüber hat man sich in Bothfeld sehr geärgert.“ „Warum?“ Er kann es mir nicht sagen.

Fortsetzung Bothfelder Zahlenmagie
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Grau in den Speckgürtel - Fahrt mit der Linie 9 (6)

1) Die Uhr wird geputzt
2) Rein in die Wassersenke
3) Dosenpfand und kleine Finger

4) Grüß mir den Kartoffelbrei
5) Lange Straße - Dauerbrot

Derweil die Linie 9 die imaginäre Zonengrenze überquert, hinter der ich Graufahrer bin, blättere ich im Geiste das Strafgesetzbuch durch. Ah, hier steht es: Beförderungserschleichung. § 265a StGB regelt:

„Wer die … Beförderung durch ein Verkehrsmittel … in der Absicht erschleicht, das Entgelt nicht zu entrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in anderen Vorschriften mit schwererer Strafe bedroht ist.“

Leserin-in-der-BahnMisstrauisch beäuge ich jeden Zusteigenden, ob er nicht ein als Mitmensch getarnter Kontrolleur ist. Und misstrauisch beäugt mich jeder neue Fahrgast, ob ich nicht ein als Mitmensch getarnter Oberkontrolleur bin, der sich strategisch ganz hinten im Wagen positioniert hat und alle Vorgänge innerhalb der Linie 9 sorgsam in sein rotes Buch schreibt, um sie mit dem Strafgesetzbuch abzugleichen. Manche scheinen von einer perversen Zeigelust getrieben und setzen sich zu mir, damit ich sehe, wie brav sie sind.

Entlang der Podbielskisstraße gibt es Autoteile, Second Hand, Änderungsschneiderei, Saftladen, China-Restaurant, Friseur, China-Restaurant, Saftladen, Nagelstudio, Beerdigungsinstitut, Beerdigungsinstitut, Änderungsschneiderei, Second-Hand, Autoteile, Tankstelle. Seltsam, dass sich die kleinen Läden an solch einer befahrenen Straße halten können. Man sieht nie jemanden erwartungsfroh hineingehen oder glücklich herauskommen, nicht mal aus dem Autoteile-Laden. Selbst die Türen der Beerdigungsinstitute scheinen tot. Ein kurze Weile wirkt die Podbielskistraße (Podbi) ein bisschen heruntergekommen, dann erholt sie sich vom Siechtum, hat Büroneubauten mit Bar und Bistro sowie Autohäuser für Leute, die keine Autoteile wollen, sondern gleich ein ganzes Auto.

Es geht stracks auf den Mittellandkanal zu, hinein in den Bahnhof Noltemeyerbrücke, eine prächtige Konstruktion aus Metall und Glas genau auf der Brücke über den Mittellandkanal. Dahinter liegt Bothfeld. Rechts davon, an der separaten Straßenbrücke habe ich einmal gesessen und bin zu einer seltsamen Fahrt aufgebrochen. Hat Hannover tatsächlich einen Speckgürtel? Und gehört der Stadtteil Bothfeld dazu, wo die Endhaltestelle Fasanenkrug liegt? Hinter der Brücke biegt die Linie 9 über eine Weiche scharf nach links. Ein anderes Gleis führt geradeaus, das der Linie 7. Es klingt unbedeutend, aber es verbirgt sich dahinter ein Ärgernis für die Bothfelder.

Foto / Gifanimation: Trithemius

Fortsetzung Verlust der Sieben
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Lange Straße, Dauerbrot - Fahrt mit der Linie 9 (5)

Folge 1 - Folge 2 - Folge 3 - Folge 4

Einmal bin ich in der Frankfurter S-Bahn grau gefahren, zusammen mit einer Kollegin, die sich auch nicht auskannte. Wir wurden sogleich von zwei grimmigen schwarzen Sheriffs aufgegriffen, und die haben uns vermutlich nur nicht abgeknallt, weil meine Kollegin eine attraktive Blondine war. Unterhalb der beliebten Flanier- und Einkaufsstraße Lister Meile bin ich gewiss noch ein zahlender Fahrgast und genieße alle Rechte, die mir die Personenbeförderungsbedingungen der ÜSTRA zustehen. Ich dürfte sogar mit meinem Handy aus der Bahn heraus fernen, kalten Kartoffelbrei grüßen. Doch hinter der Station Lister Platz muss irgendwo die unsichtbare Grenze sein, die mich ins Unrecht setzt. Ab dann ist jedes weitere Wort an den Kartoffelbrei nicht mehr erlaubt, jedenfalls nicht aus der Bahn heraus.

Schräg gegenüber der Station in der Was-Weiß-Ich-Was-Straße, ist mein Frisörsalon. Ein junger Freund hat mir einst geraten: „Du musst zu einem Mann gehen. Frauen machen einen zu brav.“ Er hat natürlich Frisöre und Frisörinnen bzw. Frisösen gemeint. Mein Friseur in der Was-Weiß-Ich-Nicht-Straße heißt Tim. Drei Buchstaben kann ich mir merken, auch wenn ich schon ein paar Monate nicht mehr da war.

Die Linie 9 kommt jetzt ans Tageslicht, fährt über eine Rampe hinaus auf die Podbielskistraße. Die Podbielskistraße ist noch viel länger als ihr Name. Man sieht hier hübsche Zeilen mit Gründerzeitbauten. Auch das prächtige Jugendstilgebäude der Keksfabrik Bahlsen, die das Wort Keks erfunden hat, aus dem Plural des englischen Cake hergeleitet. Dieser echte Anglizismus wurde im Jahr 1911 in den Duden aufgenommen. Wem die Informationen zu trocken sind, der bedenke, es geht um Kekse, haltbar bis weit über die dort angesprochene Apokalypse hinaus. Du kannst nichts mitnehmen, außer einem Leibnizkeks. Er heißt so, weil schon Leibniz sich Gedanken gemacht hat, für Soldaten eine Sorte Dauerbrot zu entwickeln.

Entschuldigung, ich bin von der Strecke abgekommen.

Fortsetzung
Grau in den Speckgürtel
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Grüß mir den Kartoffelbrei - Fahrt mit der Linie 9 (4)

Folge 1 - Folge 2 - Folge 3

Der U-Bahnhof Kröpcke, das ist Brutalismus in lecker. Die Linie 9 reißt mich weg und jagt zum Hauptbahnhof. Wenn du eine Fahrkarte kaufen willst, gehst du am besten zu Fuß durch die an den U-Bahnhof Kröpcke angeschlossene Passarelle. Das ist näher als durch den ganzen Bahnhof zurückzulaufen. Man bleibt dabei auf der 1. Tiefebene. Links und rechts reiht sich ein kleiner Laden an den anderen. Die Passarelle unterquert auch den Hauptbahnhof, und erst am anderen Ende geht’s dann runter auf die 2. Ebene zur U-Bahnstation.

Ich gucke gegen die vorbeiflitzende Tunnelwand und halte Ausschau nach Bauvorleistungen – ein wunderbares Wort, das auch Wundersames bedeutet. Beim Bau der U-Bahn in den 60ern des letzten Jahrhunderts hat man bereits einige zusätzliche Bauwerke für spätere Erweiterungen des U-Bahnnetzes errichtet, Tunnelabschnitte und Geisterbahnhöfe. Ein solcher Geisterbahnhof liegt auch unter der Station Hauptbahnhof.

Bauvorleistung

Manchmal erweitert sich eine Tunnelröhre und gibt den Blick frei auf einen toten Bauvorleistungs-Abschnitt, aber dann rasen die Wände wieder heran bis dicht vor deine Nase. Die meisten Fahrgäste schauen nicht hin, sondern stieren sich lieber ein Loch ins Knie oder sprechen in ihr Mobiltelefon wie der Mann schräg gegenüber: „Richtig, hehehehe! Genau! Hehehehe! Ja, hehehehe! Dann grüß mir mal schön deinen kalt werdenden Kartoffelbrei, Tschau!“ Ich glaube, ich würde mich schämen, so einen Satz laut zu sagen, dass alle rundum ihn hören könnten. Ist der Mobilfunk am Ende erfunden worden, damit ein Knallkopf einen kalten Kartoffelbrei grüßen kann? Was soll bloß aus unseren Kindern werden, bei den Vorleistungen.

Ein junger Mann im grauen Mantel versucht die Süddeutsche zu lesen, ohne der neben ihm sitzenden Türkin dabei ins Gesicht zu langen. Er hat die Zeitung auf ein Viertel zusammengefaltet, zuerst quer und dann längs. Das hilft ihm kaum, aber er muss sowieso raus am Hauptbahnhof. Die Süddeutsche wie auch die FAZ kann man in der Bahn fast so bequem wie ein Buch lesen, wenn man sie zuerst längs und dann quer faltet. Das geht übrigens bei jeder Zeitung mit gerader Spaltenanzahl. Die FAZ hat sogar einmal ein Heftchen herausgebracht, in dem diese probate Faltung erklärt wurde, das ich aber leider nicht mehr finde.

Die Linie 9 hat inzwischen die knallbunte Station Sedanstraße/Lister Meile erreicht. Sie wurde von sieben Graffitikünstlern gestaltet. Vor solchen Arbeiten scheinen andere Sprayer Respekt zu haben. Sie werden fast nie übersprüht oder mit Tags verschmiert. Vielleicht sollten die Städte mehr Auftragsarbeiten vergeben, um der Graffitiplage Herr zu werden. Die Station ist bunt, und ich fürchte bald grau zu werden. Ich habe keine Ahnung, wo die Tarifzone 1 endet, für die ich bezahlt habe. Ab dann bin ich Graufahrer.

Fortsetzung: Lange Straße, Dauerbrot
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Dosenpfand & kleine Finger - Fahrt mit Linie 9 (3)

Folge 1 - Folge 2

Kann ja nur noch besser werden unter Hannovers Erde. Die nächste Station heißt „Markthalle/Landtag“. Sie ist hübsch verklinkert. Hier steigt auch schon mal einer im feinen Zwirn zu oder eine Dame mit Ringen an allen Fingern und botox-erstarrter Miene. Kann aber auch die Wirkung des Alkohols sein, der die Dame in der Markthalle zugesprochen hat.

Die Markthalle heißt im Volksmund „Bauch von Hannover“. Dort an den exquisiten Sauf- und Fressständen trifft man sich gern, um zu sehen und gesehen zu werden. Gerhard Schröder war früher manchmal zu Gast, und Trittin hat da angeblich beim 13. Prosecco das Dosenpfand erfunden. Im Bauch von Hannover muss man die Nase hoch tragen, sonst fällt man durch. Aber meine Bahn ist schon längst drunterweg, also kann ich einfach nur sitzen und mein Blöckchen vollkritzeln mit nassforschen Behauptungen.

Es folgt die Station Kröpcke. Diese U-Bahnstation unter dem Stadtzentrum ist nach einem Kellner benannt, hat zwei Etagen und ist der Knotenpunkt der Stadtbahnen von Hannover. Sie ist hübsch gestaltet, hat winzige Mosaiksteichchen überall und vier unmenschlich lange Rolltreppen, auf denen ich immer Höhenangst kriege.

Kröpcke

Die weitläufige Anlage ist schon ewig Baustelle. Und ich habe gehört, vor allem das Bekleben mit den Mosaiksteinchen halte so lange auf. Man kann ja leider keine burmesischen Kleinkinder damit beschäftigen.

Viele steigen hier aus oder um, auch der Buchleser. Seinen Platz nimmt ein zartes, schwarzes Mädchen ein. Sie schaut mit runden Augen so ängstlich in die Welt, dass ich mich gar nicht traue, sie in mein rotes Notizbuch zu schreiben.

Fortsetzung Grüß mir den Kartoffelbrei
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Rein in die Wassersenke - Fahrt mit der Line 9 (2)

Folge 1

Da kommt die grüne Straßenbahn behäbig die Davenstedter Straße herunter. Die beiden Wagen sind locker besetzt. Ich finde einen Einzelplatz im Triebwagen. Mir gegenüber sitzt ein junger Mann mit einem großen Buch auf dem Schoß. Er ist fast darüber zusammengesunken, und damit er nicht die Zeile verliert, hält er mit dem rechten Zeigefinger einen Lang-DIN-Briefumschlag darunter. An diesem Finger hat er einen silbernen Ring. Auf der anderen Seite des Ganges sitzt auf seiner Höhe ein Schwarzer. Er hat sich quer gesetzt, dem Gang zu. Gelegentlich sagt er etwas, aber der Buchleser reagiert nicht. Er ist auch gar nicht gemeint. Der Schwarze hat Stöpsel in den Ohren und telefoniert.

Hinter der Haltestelle „Schwarzer Bär“ rollen wir über die halbfertige Benno-Ohnesorg-Brücke. Rasch zieht die Ihme dahin, als wäre es ihr peinlich, dass sie sich mit ihrem schlammigen Wasser so breit gemacht hat. Man hat hier im Herbst begonnen, einen Teil des Ufers abzugraben, um den Flaschenhals entlang des Ihmezentrums zu erweitern, ist aber mit dieser Hochwasserschutz-Maßnahme nicht weit gekommen, weil zuerst ein paarhundert Bäume abgeholzt werden mussten, was viele Lindener erbost hat. Anfangs konnte nur unter massivem Polizeischutz gearbeitet werden.

Oberirdisch fährt die Linie 9 gerade mal 20 Stundenkilometer, aber wenn sich die Bahn über die provisorische Gleisführung der Benno-Ohnesorg-Brücke geschlängelt hat, rast sie die Rampe hinunter zum U-Bahnhof Waterloo. Die meisten Leute sprechen die Station englisch aus, denken vermutlich, sie ist nach Abbas Eurovisons-Hit benannt. Aber Waterloo ist ein Dorf in der belgischen Provinz Brabant, und die flämische Ortsbezeichnung bedeutet Wassersenke. Oberhalb der U-Bahnstation Waterloo befindet sich ein ehemaliger Exerzierplatz, heute eine große Rasenfläche, in deren Mitte sich eine 46,31 Meter hohe Siegessäule erhebt. Da filmte ich mal eine Polizei-Effekt(s)-Show. (Siegessäule bei 0:14 Sekunden).



Die sehe ich aber nicht, bin schon unter der Erde im weiß Gott hässlichsten U-Bahnhof Hannovers, zwei Bahnsteige und schmutzig grauer Beton, ohne jeden Schmuck. Hier steigt kaum jemand ein oder aus, warum auch? Im Sommer habe ich entdeckt, dass man mit dem Fahrrad durchfahren kann zur anderen Seite der vierspurigen Lavesallee. Dabei wird man gewiss gefilmt, denn die Zufahrt ist direkt neben dem niedersächsischen Innenministerium.

Fortsetzung
Dosenpfand und kleine Finger
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Die Uhr wird geputzt - Eine Fahrt mit der Line 9 (1)

„Wer schreibt, der bleibt“, sagt der Mann im Schreibwarengeschäft, als ich bei ihm ein rotes Notizblöckchen kaufe. 14 Uhr Lindener Markt. Die Uhr an der Haltestelle wird gerade geputzt. Welch ein herrliches Land, in dem die Uhren geputzt werden. Andernorts fallen die Vögel vom Himmel, manche sehen schon die Apokalypse heranwabern, und hier werden die Uhren geputzt. Das ist doch eine hoffnungsfrohe Zukunftsgeste, die nicht einmal viel kostet, denn Gebäudereiniger arbeiten im Niedriglohnsektor, verdienen laut Tarif 8,55 Euro die Stunde.

Uhr-wird-geputztIch will mit der Straßenbahnlinie 9 bis zum Endhaltepunkt „Fasanenkrug“ fahren. Die Sonne steht schon so tief, dass die Splitkörnchen auf dem Bürgersteig bizarre Schatten werfen. Die Uhren werden geputzt, aber auf den Bürgersteigen knirscht der Split. Eine Frau im dicken Mantel geht vorbei und ruft mir ein freundliches "Hallo" zu. Fast hätte ich sie nicht erkannt. Freilich habe ich die schöne Kurdin noch nie auf freier Wildbahn gesehen, sondern immer nur hinter der Theke im Kioskladen. Der ist so etwas wie der Lindener Supermarkt für Notfälle, hat eigentlich immer auf, und man kann mehr dort kaufen, als man vermisst. Ich kaufe da manchmal Tabak, und die schöne Kurdin greift schon danach, wenn ich reinkomme, kann sich aber partout meine Blättchenmarke nicht merken, fragt jedes Mal nach. Sollte im Dezember 2012 die Welt untergehen, wird sie es immer noch nicht wissen. Aber eins ist sicher, der Kiosk hat beim Weltuntergang auf. Man kann auf der verlinkten Internetseite übrigens abstimmen, ob man den Weltuntergang haben will. Ist doch nett, dass man wenigstens gefragt wird.

Fortsetzung:
Rein in die Wassersenke
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Der Taliban schunkelt nicht - im Zirkus des schlechten Geschmacks - und ich beiß in meinen Schuh

Eines Morgens werde ich wach, da ist mein Humor weg, die heitere Gelassenheit zog gerade als letzte die Tür hinter sich zu. Es war wie der Auszug der Israeliten aus Ägypten. Ich habe das Pack aber nicht verfolgt. Man weiß ja, wie das endet. Freitags wird bei uns im Haus immer die Treppe geputzt. Ich habe keine Lust mit einem Eimer von Putzwasser kaltgestellt zu werden, während der Witz, die blöde Albernheit und die heitere Gelassenheit quasi trockenen Fußes über die nassen Stufen in den Keller eilen. Der habe ich aber noch hinterher gerufen: „Was soll der Quatsch? Warum schließt du dich diesen Weicheiern an?! Ich gebe zu, es gibt in dieser Welt nicht mehr viel zu lachen. Aber das hier ist Fahnenflucht.“

zirkus schlechten GeschmacksMan könnte sich ein Beispiel an Verteidigungsminister zu Guttenberg nehmen. Der ist das, was man in Köln einen Jrielächer nennt. Bleckt immer die prächtigen Zähne. Aber der Mann ist Kriegsminister und muss sich ab und zu in Afghanistan sehen lassen. Da läuft er natürlich nicht als Jrielächer herum, das haben ihm seine Medienberater längst abgewöhnt. Guttenberg kann auch die Stirn runzeln oder eine Betroffenheitsmiene ziehen. Aber sobald er raus ist aus Afghanistan, wird er wieder zum Jrielächer. Da kommt die alte Raubrittermentalität durch, von wegen Spaß am Wirtschaftskrieg und so.

Im letzten Sommer hat der Aachener Karnevalsverein (AKV) den „adligen Baron“ zum Ordensritter wider den tierischen Ernst 2011 ausgerufen. Und der geschmeichelte Herr zu Guttenberg hat natürlich angenommen, - ohne wenigstens einmal darüber zu schlafen. Aber jetzt ist ihm die Sache nicht mehr geheuer. Seine Medienberater haben ihm nämlich gesagt, dass es ganz blöd käme, wenn die Bundeswehr versehentlich eine Schule bombardieren lässt und er steht feixend im „Narrenkäfig“ und reißt grad einen zünftigen Landserwitz. Oder ein anderes Szenario des politischen Selbstmords: Bundeswehrsoldaten fallen im Kampfeinsatz, derweil sich der jrielaachende zu Guttenberg von den Höppemötzjer umtanzen lässt.

Im Vorstand des Aachener Karnevalsverein beißen sie sich die Fingernägel ab, denn Aachens High Society reißt sich um die letzten Karten zu närrischen 1111,11 Euro, um zu Guttenberg zu sehen. „Guttenberg sprengt Saal-Kapazität des AKV“, titelt AZ-Redakteur Robert Esser. Und zitiert: „’Die Nachfrage bei den Eintrittskarten für die Fernsehsitzung übersteigt unsere Saalkapazität im Eurogress um ein Vielfaches’“, erklärt der Präsident des Aachener Karnevalsvereins, Dr. Werner Pfeil, am Dienstag bei der Vorstellung des kompletten Sessionsprogramms.“

Es könnte also auf den 1246 ausverkauften Plätzen des Aachener Eurogress nahezu wunderbar werden, herrlich und allemal die lächerlichen 1111,11 Euro wert. Aber, eventuell kommt der adelige Karl-Theodor überhaupt nicht nach Aachen. Deutschland führt Krieg. Und Karl Theodor ist verantwortlich. Das hätten sich die Aachener Lackschuhkarnevalisten natürlich denken können, als sie zu Guttenberg zum Preisträger gekürt haben. Man holt auch keinen Stürmer mitten im Spiel vom Platz, um ihn zum Krawattenmann des Jahres auszuloben. Hat der Vorstand des AKV gedacht, dass der Taliban zu schunkeln anfängt, wenn der AKV wieder mal seiner Großmannssucht frönen will und quasi den deutschen obersten Heerführer in den Narrenkäfig steckt? Ich weiß ja nicht, wann der Taliban lacht und worüber. Aber wenn die im Internet sehen, wie sich der deutsche Verteidigungsminister in einem Raubritter-Kostüm in den Narrenkäfig zwängt. Wenn ich Taliban wäre, ich fänd's lächerlich.

Und was für ein Sicherheitsproblem hat sich der AKV eingehandelt. Man stelle sich vor: Während der Karnevalssitzung sagt der Moderator: „Das, liebe Närrinnen und Narren, war wieder einmal ein hochklassiger Vortrag, das verdient eine Rakete. Kommmando 1!, Kommando 2!, Kommando 3!“ - Und dann kriegen die Lackschuhkarnevalisten ihre Rakete. Nicht auszudenken.

Es gibt eine Menge Imponderabilien im Fall des neuen Ordensritters wider den tierischen Ernst. Das hat auch der AKV inzwischen eingesehen und einen Plan B, wie der Redakteur der Aachener Zeitung weiß: „Falls zu Guttenberg bei den Aachener Jecken am 19. Februar (Fernsehübertragung ARD, Montag, 21. Februar, 20.15 Uhr) nicht persönlich auf der Bühne in die Bütt steigt, soll ein Knappe den Orden stellvertretend entgegennehmen. Dieser Plan B sieht natürlich ebenfalls eine prominente Persönlichkeit vor. Welche das - im Fall des Ausfalles - sein könnte, will der AKV natürlich noch nicht verraten. «Wir gehen davon aus, dass zu Guttenberg selbst kommt», heißt es.“

Wenn es nicht „zu Guttenberg selbst kommt“, welche „prominente Persönlichkeit“ sollte „den Orden stellvertretend übernehmen“? Kein prominenter Politiker würde sich trauen. Alle kämen ins gleiche schlechte Licht wie zu Guttenberg, wenn der Krieg über den Ordensübergabe-Quatsch hereinbräche. Da bleibt nur einer, dem nichts mehr weh tut - Ausbilder Schmidt: "Guten Morgen, ihr Luschen!"

„Also“, sagt die heitere Gelassenheit, „das ist mir alles zu schmuddelig“, dreht sich um und haut auch ab. Ich könnt’ in meinen Schuh beißen.
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Dioxin-Skandal - 5 % der Deutschen akut gefährdet!

Westerwelle-dioxindioxin

Guido W. (50), hatte alles, was das Herz begehrt. Er war Krawattenmann des Jahres 2001. Er hatte ein Guidomobil mit Spitzendeckchen. Er hatte spätrömische Dekadenz. Doch mit einem Schlag hat sich sein Leben dramatisch verändert: Diagnose DIOXIN-Schock. Wahrnehmungsstörungen. Realitätsverlust. Alektorophobie (Angst vor Hühnern). Es kann jeden treffen, aber es traf ihn. Guido W. ist ein gebrochener Mann. „Ich würde auch arbeiten gehen“, sagt er, „aber ich bin ja Außenminister.“

Bildquelle: ARD.de
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Die medialen Stinkstiefel erwischen dich überall

zirkus schlechten GeschmacksGestern las ich im Fahrgastfernsehen der Hannöverschen U-Bahn, ein Herr Menowin Fröhlich sei der nervigste Prominente. Da habe ich mich gefragt, wie mich einer nerven soll, den ich gar nicht kenne. Später sah ich im Internet, dass die Information von Stern.de stammt. Man hat nach den nervigsten Prominenten 2010 gefragt, und 18.000 User hätten abgestimmt. Menowin Fröhlich hat gewonnen und kann sich freuen. Jetzt kenne ich seinen komischen Namen auch. Muss man mich eigentlich mit diesem Unsinn nerven, wenn ich bloß ganz harmlos Bahnfahren will? Sollte nicht wenigstens der öffentliche Raum frei sein von solchen Nullinformationen?

Die Medien, Fernsehen und Illustrierte voran, haben diesen Mann doch erst ins Rampenlicht gehoben und somit seinen Prominentenstatus erfunden. Stern.de hat im Jahr 2010 ganze 39 mal über Menowin Fröhlich berichtet. Und jetzt sagen sie uns, das wäre der Nervigste. Das ist, als würde ein Bauer auf seinen Feldern Jauche versprühen und anschließend im Dorf darüber abstimmen lassen, was den Leuten am meisten stinkt, Schweine-, Hühner- oder Rindviehjauche. Dann rennt er mit einer Glocke rund und ruft aus: "Es ist die Hühnergülle!"

Und wie das Vieh immer neue Jauche produziert, setzen unsere Leitmedien ohne Unterlass eine elend lange Reihe peinlicher Promis in die Welt, und bei jeder neuen Knallcharge fragst du dich, wo kommen solche Leute bloß her? Wo und wie finden die Medien das Gesocks? Etwa alle in der Verwandtschaft? Es gib so ziemlich keinen der so genannten Promis, mit dem ich gesehen werden wollte. Das sind doch überwiegend Leute, die man nicht mal kennen möchte. Manche kenne ich zum Glück gar nicht. Vor Jahren tauchte in der Harald-Schmidt-Show einer auf, der von Schmidt als der große Moderator ausgerufen wurde. Ein Herr Irgendwie Jabbatei. Dass der prominent war, konnte ich gar nicht glauben. Den Mann hatte ich noch nie gesehen. Dann kam raus, er moderierte „Frühstücksfernsehen“. Frühstücksfernsehen? Wer guckt denn so was? Wer lässt sich am heiligen Morgen schon mit dümmlichem Gelabere das Gehirn zuscheißen? Schlimm genug, wenn es abends passiert und Alpträume drohen, in denen diese Prominenten auf dich eindringen und ihre abscheulichen Faxen direkt vor deiner Nase machen, ihre hirnlosen Ergüsse direkt in deine Ohren absondern.

Schaut man sich an, wer in Deutschland Promistatus hat, wer von morgens bis abends vorgeführt, bejubelt oder geschmäht wird, dann sollte man denken, wir leben in einer Irrsinnskultur. Und gänzlich fernhalten kann man sich von diesem Irrwitz nicht. Selbst wenn man kein Fernsehen guckt, die Bunte auch beim Friseur verschmäht, keine Baumarkteröffnung besucht, sie erwischen dich doch, und wenn die Stinkstiefel dir in der U-Bahn ungebeten ihren angeblich nervigsten Promi unter die Nase reiben – aus dem Zirkus des schlechten Geschmacks.
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