Kopfkino

Fastenspeise der Buddhisten - Nachtschwärmer (2)

Nachtschwärmer



Folge 2: Fastenspeise der Buddhisten
Text / Erzähler: Trithemius, Musik: Martin Kratochwil

Fortsetzung: Mittwoch 16:30 Uhr
1000 mal gelesen

Nachtschwärmer online - (1) - Ein Nachtbummel

Nachtschwärmer



Folge 1: Ein Nachtbummel stünde vor der Tür
Erzähler: Trithemius, Musik: Martin Kratochwil, Schnitt: Mimiotschka

Fortsetzung: Dienstag, 16:30 Uhr
862 mal gelesen

Nachtschwärmer - Eine Fahrt in den Heiligabend

HeiligabenddraisineZum Auftakt der Nachtschwärmer-Vertonungen ein professionell produziertes Hörspiel. Während der Rauhnächte werden die Folgen erscheinen, die ich selbst aufgenommen habe.

Vorbemerkung: Ab dem 13. Dezember 2005 begann ich die Nachtschwärmer zu schreiben, imaginäre Fahrten mit einer Draisine über eine Bahnlinie, die am Aachener Teppichhaus vorbei führt. Ich hatte im November zu bloggen begonnen und war begeistert von diesem neuen Medium. Die digitale Interaktion ließ mich eine bislang nicht gekannte Form der sozialen Energie spüren und beflügelte meine Phantasie. Wochen zuvor hatte ich noch in einem tiefen Tal gesessen, nicht wissend, was ich mit mir und meinem Kummer anfangen sollte. So wurde das Bloggen zur Selbsttherapie. Ich wünschte mir einen guten Platz in der Welt. Aber wo sollte der sein, wenn die Welt aus den Fugen ist? Daher sah ich im Medium Blog eine Möglichkeit der Vernetzung aller, die sich nicht abfinden wollen mit dem Gang in die Dystopie. Meine anfängliche Euphorie ist geschwunden. Aber Veränderungen sind möglich, und alle Veränderungen beginnen mit einem Traum.

Die Nachtschwärmer schrieb ich online in jeweils fünf Etappen. Bis April 2006 entstanden 44 Fahrten. Ich habe die Texte redigiert und werde sie demnächst als Buch vorlegen. Einen Text verwarf ich, den Weihnachtsnachtschwärmer. Er spiegelt ein Sendungsbewusstsein, das ich nicht mehr habe. Just diese Folge hatte Blogfreundin Marion Wolff (Immekeppel) in guter Erinnerung. Marion Wolff arbeitet bei der Deutschen Welle. Sie hat den Text leicht gekürzt und mit dem Redakteur Rolf Wenkel als Sprecher ein Hörspiel daraus gemacht:


Eine besinnliche Fahrt in den Heiligabend wünscht Ihnen und Euch,
Trithemius

Originaltext hier
1334 mal gelesen

Nachtzug mit Skoptophobie - Trickfilmstudio

Liebe Kundinnen und Kunden,

gleich wrdsch mer ehmd de Stimmbändor durchn Honischdopf ziehn, nu, äh, infiziert ... heute werde ich meine Stimmbänder ölen und aus dem Nachtschwärmer-Manuskript die ersten Folgen lesen. Sie werden die Rauhnächte über zu hören sein - zur Einstimmung auf das kommende Buch im Teppichhausverlag. Und natürlich werd 'ch ni Sächsisch sprechn duhn, sondern man wird allenfalls meinen rheinischen Tonfall heraushören können. Die ersten Nachtschwärmerfahrten rollen mit einer Draisine über das Gleisnetz einer Güterbahnlinie von Aachen nach Belgien.

Einstweilen die Neubearbeitung einer Eisenbahn-Gifgrafik als Video. Suchen Sie keinen Sinn darin, finden Sie höchstens einen, muss aber nicht. Viel Vergnügen, Ihr Trithemius

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Langweiliges Paradies - aus der Serie: Kopfkino

Angenommen, wir beide wären Außerirdische, du und ich. Wir kämen zufällig an der Erde vorbei und würden uns sagen, wir wollen mal gucken, was da so alles passiert. Zuerst würden wir aus dem Orbit im Internet stöbern, und dann, um uns mit der Weltbevölkerung bekannt zu machen, lassen wir uns eine E-Mail-Adresse geben. Das erste, was in unserer Raumkapsel eintrudelt, ist die liebenswerte Begrüßungsmail des E-Mail-Anbieters, und direkt darauf kommt diese Mail:

Interssant für Außerirdische

„Kostenloses Girokonto: Mit Zufriedenheitsgarantie + 30,- Euro Media Markt-Gutschein!“
Manometer, wie wir Außerirdische zu sagen pflegen, Manometer, kostenlose Zufriedenheitsgarantie und auch noch ein geldwerter Gutschein! - Auf der Erde geht es ja nahezu paradiesisch zu. Beneidenswert, diese Menschen. Aber das reicht uns auch schon, und wir kehren der Erde den Rücken. Solche Paradiese sind doch meistens öde, findest du ja auch.
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Jedermann sein eigner Zeigestock

Mein Mitschüler Paul, ein unruhiger Bauernsohn, immer von einem leisen Misthauch umweht, wird nicht viel aus der Schule mitgenommen haben, außer der Dresche, die er tagtäglich von Hauptlehrer Schmitz bekam. Pro Halbjahr zerschlug Schmitz einen Zeigestock, überwiegend auf Paul. Allerdings zielte der Lehrer nicht, schlug mehr ins Ungefähre, so dass auch Pauls Nachbarn sich unter dem Zeigestock ducken mussten. Wer als erster mit dem neuen Stock geschlagen wurde, gab ihm ungefragt seinen Namen. In den drei Jahren, die ich unter der Fuchtel von Hauptlehrer Schmitz verbrachte, nannte er jeden neuen Stock „Onkel Paul“. Der arme Paul wurde also von sich selbst geschlagen, und traf der Stock mal mich oder einen anderen, dann war’s wieder Paul, der uns wehtat. Er war dann auch gemieden und ist immer etwas kümmerlich geblieben.

Drei Schuljahre saßen bei Schmitz in der Oberklasse. Wer ein bisschen geschickt war, lernte schon im sechsten Schuljahr alles, was der Hauptlehrer in seinen wiederkehrenden Vorträgen zu bieten hatte. Man brauchte während der Stillarbeit nur mit einem Ohr zuzuhören, was Schmitz dem siebten oder achten Schuljahr beibrachte. Aber Paul konnte sich einfach nichts merken. Nur eines hatte sich bei ihm festgesetzt, dass nämlich die Fliege Facettenaugen hat. Tatsächlich hatte er aber nur das Wort Facettenaugen behalten, denn wenn er wiedergeben sollte, was der Lehrer im Naturkundeunterricht ins Heft diktiert hatte, glänzte Paul mit Facettenaugen. „Der Storch hat Facettenaugen“, sagte Paul, die Katze hatte auch welche, selbst der Hase verfügte darüber. Nichts davon wurde je richtig gestellt, denn wenn Schmitz einen Schüler abhörte, saß er mit geschlossenen Augen am Pult, und nur ein leichtes Fingertrommeln verriet, dass er nicht schlief. Das Fingertrommeln jedoch hatte Zeichencharakter, denn solange Schmitz trommelte, musste man reden. Allein auf den flüssigen Vortrag kam es an. Wenn Schmitz dann zum Notenbuch griff und sein kryptisches Urteil hineinschrieb, durfte man sich setzen.

Einmal schlug Schmitz mich aus nichtigem Anlass derart heftig, dass ihm die Uhr vom Arm flog. „Man merkt, dass dir der Vater fehlt!“, giftete er, nachdem er sich an mir abreagiert hatte. Ja, mein Vater fehlte mir, nachdem er plötzlich gestorben war, aber nicht als Prügelmeister. Anschließend durfte ich drei Tage nicht in den Klassenraum, musste im Flur vor der Tür stehen. Außer der Einsicht, dass Willkür und Niedertracht ein schulamtlich verliehenes Privileg war, habe ich nichts Wesentliches bei Schmitz gelernt. Im Gegenteil, er brachte mir bei, das Rechnen zu hassen, denn wenn er übler Laune war, hagelte es Kettenaufgaben als Kollektivstrafe für ein winziges Vergehen. An denen saß man den ganzen schönen Nachmittag. Eigentlich habe ich das meiste außerhalb der Schule gelernt, durch eigene Anschauung und unbotmäßiges Lesen. „Der liest ja soviel!“, sagte Schmitz meiner Mutter, und das war ein Vorwurf.

Tatsächlich las ich nicht nur aus Neugier, sondern auch, um einer Autorität widersprechen zu können, die sich als Hohlkopf entlarvt hatte. Daher rührt mein Zweifel an allen Autoritäten. Damit bin ich immer gut gefahren. Durch glückliche Umstände habe ich nicht mehr Schule erlebt, als ich ertragen konnte. Schon bald war die Setzerei meine Universität, und als ich später studierte, war ich rasch enttäuscht von dem, was mir die ausgewiesene Universität zu bieten hatte. Will sagen, ein wacher Mensch braucht nicht viel Schule, ja, es ist beinah besser, um alle Schulmeister und Universitätslehrer einen großen Bogen zu machen, die sich nicht als kritische Köpfe zu profilieren wissen. Wenn wir die derzeitige desolate Situation im Bildungswesen beklagen, dann sollten wir nicht vergessen, dass nur die Eigentätigkeit des Menschen im Stande ist, ihn zu bilden. Alles andere ist Dressur. Man kann an deutschen Gymnasien mit einer 1,0 aus einer Abiturprüfung gehen, ohne einen einzigen eigenen Gedanken geäußert zu haben.

Derzeit lese ich Ivan Illichs radikale Schulkritik: "Entschulung der Gesellschaft". Es ist ein Werk, das ich jedem empfehle. Illich zeigt, wie Schulen und Universitäten die Unbildung produzieren, wie Schule junge Menschen schon früh in Klassen einteilt und jene aus den unteren Schichten daran hindert, das Selbstwertgefühl zu entwickeln, das erst die Voraussetzung von Lernen und Bildung ist. Illich propagiert das Lernen nach Neigung, das sich am besten in Netzwerken organisieren lässt. Er hat, als er "Entschulung der Gesellschaft" schrieb, noch nichts vom Internet wissen können. Hier lassen sich seine Ideen auf nahezu wunderbare Weise verwirklichen, wenn wir nämlich die Netzwerke des Internets als Chance begreifen, voneinander zu lernen und so unseren geistigen Horizont zu erweitern. Diesem Gedanken ist auch die Idee der offenen Bloguniversität verpflichtet.
Aufruf zu einem Experiment - Freitag, 28. Mai 2010

Ich würde mich freuen, wenn sich hier in nächster Zeit Diskussionen entwickeln zu den unterschiedlichsten Themen, die wir besprechen als Gleiche unter Gleichen. Den Anfang werde ich am Freitag, dem 28. Mai 2010 machen. Das erste Thema soll Ivan Illichs Streitschrift "Entschulung der Gesellschaft" sein. Wer mitmachen will, sollte das Buch vorab lesen. Wenn das Experiment der "Freitagsdiskussion" erfolgreich ist, werde ich sie fest im Teppichaus einrichten. Sie wird dann jedesmal bis zum darauffolgenden Sonntag gehen.

Wir vertrauen nicht der politischen Kaste, wir lassen uns nichts vordenken durch Institutionen und Medien, wir bilden uns.
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Ende der Freiheit? Oder: Wer mir den freien Willen bestreitet, hat selber keinen

Da war eine Jazzband auf der Bühne im Lichthof der hannöverschen Leibnizuniversität. Fünf reifere Herren und eine Frau spielten populäre Stücke nach, aber nicht im Originaltempo, sondern langsamer als der Schall. An der Trommel saß ziemlich lustlos ein junger Mann. Er hatte viel Zeit zwischen den einzelnen Schlägen. Leider sah ich ihn nur verdeckt, aber ich vermute, er löste nebenher ein Kreuzworträtsel. Seine älteren Kollegen dagegen hatten Spaß an der Sache und wippten sogar im Rhythmus. Er war auch für Herzschrittmacher ungefährlich und somit gut gewählt.

Denn das Publikum war überwiegend betagt und sehr gut situiert. Gebildete Männer mit Frau sowie umgekehrt und als Duett. Hie und da saßen Studierende, aber sie waren in der Minderzahl. Das Thema der Podiumsdiskussion scheint junge Leute kaum zu interessieren, es lautete: „Ende der Freiheit?“ Dabei ging es um die Befunde der Hirnforschung, dass der Mensch nicht wirklich über einen freien Willen verfüge, und um die Frage, wie sich diese "Erkenntnis" auf die Rechtsordnung und auf unsere Vorstellung von Strafe auswirke.

Vielleicht waren
einige Zuhörer gekommen, um sich vom freien Willen freisprechen zu lassen, weil sie beispielsweise Schwarzgeld in der Schweiz gebunkert haben. Sie könnten dann sagen: „Was kann ich dafür, wenn meine mir leider unbewussten neuronalen Prozesse mich dazu gebracht haben, mein Geld in die Schweiz zu bringen?“ Andere waren da, die sich den freien Willen nicht nehmen lassen wollen, zumindest nicht von Hirnforschern, die sich selbst den freien Willen absprechen.

Podiumsdiskussion

Ich hätte gedacht, das Thema ist längst durch, aber da tönte der Rechtswissenschaftler Reinhard Merkel (rechts im Bild) vollmundig vom Podium herab: „Wir haben ein ernstes Rechtsproblem, und wer das nicht auch so sieht, muss seinen Standpunkt ändern!“ Ein Mikrophon ist eine feine Sache. Es heiligt auch den übelsten rhetorischen Trick, denn was laut durch den Saal tönt und machtvoll in alle Ohren dringt, kann es denn falsch sein? Dürfte der Mann überhaupt ans Mikro, wenn er nichts zu sagen hätte? Manchmal schon, das muss man sich vor Augen halten, wenn der akustische Filter von einem Lautsprecher übertönt wird.

Haben wir tatsächlich ein ernstes Rechtsproblem? Was hat die Hirnforschung herausgefunden? Millisekunden bevor ein Mensch in ein Mikrophon spricht, wurde das unbewusst schon geplant. Der Sprecher glaubt nur, er habe sich entschieden, etwas Wichtiges zu sagen. In Wahrheit sind tief verborgen in seinem Hirn unbewusste neuronale Prozesse abgelaufen und haben ihn dann zum Großsprecher gemacht, bevor er überhaupt dachte: „Alle sollen hören, wie toll ich bin!“ Und wenn jetzt seine neuronale Verdrahtung so beschaffen ist, dass er gar nicht so Wichtiges spricht, wie er glaubt, ja, dann kommt immer nur eitler Quatsch heraus. Da kann er wollen wie er will. Denn eigentlich ist er nur das willenlose Opfer seiner speziellen neuronalen Verdrahtung. Soweit die Ergebnisse der Hirnforschung.

Hat sie wirklich etwas Neues erbracht? Was haben wir denn geglaubt, bevor die Hirnforschung mit ihren Befunden anrückte? Dachten wir, der freie Wille sitzt nicht im Kopf, sondern vielleicht im Bauch? Da wird verdaut und gefühlt, aber nicht logisch gedacht. Oder dachten wir, unser wollendes Ich befindet sich gar nicht in unserem Körper, sondern wäre ein Geist ohne Materie, der wie ein Nimbus über uns schwebt? Wie soll ein solcher Geist denken und womit? Information braucht doch ein Medium, damit sie fließen kann.

Der freie Wille muss also im Netzwerk unseres Gehirns entstehen. Damit das geht, müssen im Netzwerk neuronale Schaltprozesse ablaufen, und zwar rasch, damit der Mensch auch auf plötzliche Einflüsse angemessen reagieren kann. Diese Entscheidungen werden erst auf höherer Ebene in Sprache übersetzt, so dass wir die Dinge im Nachhinein denken und erfassen können. Es war nie anders, - für diese Erkenntnis ist nicht einmal moderne Hirnforschung nötig. Wenn also von dieser Tatsache hergeleitet wird, wir hätten keinen freien Willen, dann braucht es uns nicht anzufechten, weil es eine systeminhärente Schwäche des Gehirns ist, die sich nicht umgehen lässt. Doch der Mensch agiert und reagiert eben nicht allein tierhaft. Er hat im Laufe der Evolution die Idee von der Verantwortlichkeit des Handelns entwickelt. Diese Verantwortung liegt bei allen geistig gesunden Menschen vor, denn kybernetisch betrachtet, ist das menschliche Gehirn ein Rückkopplungssystem. Ein solches System reagiert auf neu eintreffende Informationen und passt seine Struktur daran an; es ist lernfähig. Wenn ich also beim ersten, impulsiven Handlungsakt willenlos bin, dann nicht unbedingt beim zweiten. Wenn ich einmal aus einem Impuls heraus einen Rechtswissenschaftler geschmäht habe, muss ich es nicht ein zweites Mal tun, denn etwas anderes in mir hat die Oberhand gewonnen und gesagt: Jetzt lass den, der ist ja auch nur ein Mensch. Was da Oberhand gewonnen hat, war soziale Kontrolle. Sie existiert im Netzwerk der Mitmenschen, und wir haben Anteil daran, bemühen uns, vernünftigen sozialen Regeln zu entsprechen, atavistische Neigungen hingegen zu kontrollieren. Darum können wir uns auch gegenseitig verantwortlich machen für das Schlechte oder Gute, das wir einander antun.

Ein interessantes Phänomen ließ sich auf dem Podium beobachten. Als der alerte Diskussionsleiter Hoyningen-Huene, Professor für Philosophie, das Podium vorstellte, die Philosophin Bettina Walde, den Philosophen Ulrich Pothast und den schon genannten Herrn Merkel, da fehlte noch der Hirnforscher Gerald Hüther. Wie er dann verspätet eintraf, hatten die vier anderen sich schon so am Podium breit gemacht, dass er nur halbschräg auf der Ecke sitzen konnte. Das wiederum schwächte seine Position, so dass er während der gesamten Diskussion nicht richtig ins Gespräch kam und sogar fälschlich für die radikalen Leugner des freien Willens, (seine nicht anwesenden Fachkollegen Roth und Singer), in die Verantwortung genommen wurde. Die vier haben ihr unkollegiales Interagieren gar nicht bemerkt. Das hätte den Außenblick erfordert und eine Reflexion dieses gruppendynamischen Prozesses. Hier zeigte sich, dass der freie Wille zum Zwecke des sozialen Handelns erst aufgerufen werden muss, weil er sich nicht von selbst einstellt.

Abschließend wäre noch zu sagen, dass die Jazzband nicht schlecht gespielt hat. Aber auch nicht gut, sondern irgendwas dazwischen, was man hören kann, aber nicht muss. Wirklich nicht.
1941 mal gelesen

Kopfkino - Bitte geben Sie den Dingen einen Sinn

Aller innerster Sinn ist Sinn für Sinn.

Ein Zitat des Romantikers Novalis, bei Dr. Schein gelesen.

Der Gedanke, dass der Sinn aus dem Sinn für Sinn besteht, ist ziemlich verlockend. Er verlegt die Verantwortung für den Sinn ganz in den Menschen selbst. Er allein bestimmt in seiner Welt den Sinn, gibt den Dingen erst eine sinnvolle Bedeutung. Ein Romantiker wie Novalis sieht hierin vor allem die Verlockung, nämlich die abenteuerliche Grenzerweiterung des menschlichen Lebens und Erlebens. Denn nichts hindert ja den Menschen daran, den Dingen des Alltags eine eigenwillige Bedeutung zu geben, eine heiter-komische etwa oder eine geheimnisvolle.

Nüchtern betrachtet ist das Zitat ein Abgesang. Novalis macht eindeutig Schluss mit dem Sinn. Der innerste Sinn besteht aus Sinn für Sinn, - der Satz ist hermetisch. In ihm ist kein Platz für einen so genannten höheren Sinn von außen.

Mir gefällt das. Einerseits werde ich dadurch in die Verantwortung genommen, meiner Welt einen Sinn zu geben, anderseits habe ich die absolute Gestaltungsfreiheit, kann das zum Sinn erklären, was andere für Unsinn halten. Ein Freund, den ich aus den Augen verloren habe, hat zu seiner belgischen Villa wohl die längste Auffahrt Europas, vielleicht sogar der Welt. Sie reicht aus der Innenstadt von Aachen bis kurz vor Verviers in Belgien. Es handelt sich um seinen täglichen Weg zur Arbeit und zurück. Mein Freund erklärt: „Wenn ich mir sage, all die Leute in ihren Häusern entlang der langen Straße von Aachen bis zu meiner Haustür, die wohnen an meiner Auffahrt, ja, dann ist die lange Straße von Aachen bis zu mir meine Auffahrt.“ Soweit zur freien Sinngebung. Sie ist ein probates Verfahren, glücklich zu werden, ja, mein Freund schwört sogar darauf, dass sich das Leben meistens nach seinen Wünschen zu richten pflegt, weil er nämlich alles daran setzt, sich sein Leben gefügig zu machen.

Dem religiösen Menschen bietet Novalis nichts, nicht einmal Trost. Da gibt es kein höheres Wesen, keinen Sinn gebenden Gott. Es ist alles Menschenwerk, ersonnener Sinn. Warum sollten Menschen so etwas tun, sich einen eigenen Gott ersinnen, wo sie doch die Freiheit der Sinngebung haben? Warum sich künstlich schwächen und sich von einem imaginären Gott die Sinn-Regeln auferlegen zu lassen? Vermutlich hat es etwas mit Selbsterkenntnis zu tun: Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach. Wenn jeder nur seiner egoistischen Natur folgt, kann kein vernünftiges Gemeinwesen entstehen. Aber unter Egoisten diese Einsicht zu verbreiten, braucht es schon eine höhere Macht, also einen Gott als eine Sorte Übervater. Den sich zu denken, das kann manchmal sinnvoll sein. Friedliche Völker brauchen ihn kaum. Wo aber die Gewaltbereitschaft hoch ist, braucht man einen starken Gott. Und wie stärkt man ihn? Indem man andere zwingt, an ihn zu glauben. Mit diesem Eigensinn entfernt man sich zwangsläufig vom gewünschten Sinn.

Manchmal ist es also besser, gar keinen Sinn zu suchen. Ein Tisch ist ein Tisch, daran ich sitzen kann und meine Suppe löffeln. Und wenn ich sitze, sitze ich, und wenn ich löffle, löffle ich. Und das hier ist ein Blogeintrag. Er hat keinen höheren Sinn als den, dass ich eben erst über Sinn nachgedacht habe.
1593 mal gelesen

Einfüßler, Chinesen und schon wieder Weltuntergang

Der bundesweite FUSS e.V. interessiert sich für alles, was mit Füßen zu tun hat. Im letzten Sommer beispielsweise meldete der Verein in einer Pressemitteilung einen rätselhaften Fußabdruck, der im Norden Brandenburgs entdeckt wurde:
April
Was hatte der Einfüßler wohl 1,50 Meter tief unter Brandenburg verloren, und wo kam er her? Im Sandkasten des Spielplatzes neben dem Teppichhaus muss ein ziemlich tiefes Loch sein. Ringsum sind Sand und Erde aufgeworfen, und zwar von innen herauf. Und seitdem ich das vom Fenster aus entdeckt habe, lungern hinten beim Sandkasten vier Gestalten herum. Scheinen ziemlich erschöpft, denn sie sitzen seit Stunden unentwegt auf einer Bank. Zum Glück sind es Zweibeiner. Geheuer sind sie mir trotzdem nicht, denn sie könnten ja Chinesen sein, die ein Loch durch den Globus gegraben haben. Man möge mich korrigieren, denn ich weiß nicht wirklich, welches Land auf der anderen Seite der Erde genau gegenüber Hannover-Linden Mitte liegt. Der Ozean kann’s aber nicht sein, sonst wären die Männer nass und es käme Wasser aus dem Loch. Oder nicht? Kann man gar nicht durch einen Tunnel zur anderen Seite des Globus kriechen? Bliebe man etwa in der Erdmitte stecken oder würde dort schweben, weil es keine Gravitation gibt?

Wer sich mit derartigen Fragen beschäftigt, betreibt theoretische Grundlagenforschung. Will man die Thesen und Theorien der Grundlagenforschung in der Praxis untersuchen, braucht man lange Tunnel, und das ist sehr teuer. Im CERN haben sie einen Ringtunnel von nur 27 Kilometer Länge, und der kostet schon 10 Milliarden. Und sie schießen dieser Tage auch keine Chinesen durch, sondern je zwei Protonenbündel. Die sollen in der Mitte kollidieren und kleine Schwarze Löcher erzeugen. Es geht darum, in den Zerfallsprodukten der urgewaltigen Explosionen das Higgs-Teilchen zu finden, besser bekannt als „Gottesteilchen“. Der Name ist freilich Unsinn. Selbst wenn das Higgs-Teilchen gefunden wird, kommt es nicht tatsächlich von Gott. Zum Glück nicht, denn sonst wären Wissenschaft und Glaube mit einem Knall dasselbe, eine schreckliche Vorstellung. Wie es zur irreführenden Wortprägung „Gottesteilchen“ gekommen ist, erklärt Robert Aymar, ehemaliger Generaldirektor der Europäischen Organisation für Kernforschung CERN:

„(…) das Higgs- bzw. schöpferische Teilchen. Es ist ein Name, den der Physik-Nobelpreisträger von 1988, Leon Lederman, geprägt hat. Der Amerikaner hatte ursprünglich einen ansprechenden Titel für sein Physikbuch gesucht (…) Enttäuscht darüber, dass er das Higgs-Teilchen jahrelang nicht finden konnte, hat er es als das ‘gottverdammte Teilchen’ bezeichnet. Sein Verleger fand aber, ‘Gottes-Teilchen’ wäre ansprechender.“

Sie suchen im CERN also nach einem gottverdammten Teilchen. Das sagt eigentlich alles. Übrigens muss man sich wegen eines eventuell entstehenden winzigen Schwarzen Lochs keine Sorgen machen. Die Welt geht noch nicht sofort unter, denn Schwarze Löcher sind nur mäßig gefährlich. Es gibt sie überall. Wir sind quasi umgeben davon, man muss nur in die Zeitung schauen oder das Fernsehgerät einschalten. Wer es aber nicht erwarten kann, hier die Wiederholung des Weltuntergangs in CinemaScope:

Apokalypse-mit-Musik
Fotos, Text, Animation: Trithemius
1897 mal gelesen

Finkenschlag und Klickern

Welch ein Glück, dass die Evolution die Dinosaurier auf ein erträgliches Maß verkleinert hat. Was wäre das für ein entsetzliches Krachen im Geäst, wenn sie von Baum zu Baum hopsen. Und erst das schmachtende Grunzen der Balzvorbereitung. So aber schlägt der Fink sein helles Lied, und hüpft er von Zweig zu Zweig, wir sehen ihn kaum. Die Sonne scheint, – ich werd' verrückt –, reiße meinen Mantel auf und schlendere durch den Park. Das Frühjahr, der Frühling, der Lenz – die drei geben ein Gastspiel, das hoffentlich noch in die Verlängerung geht.

In meiner Kindheit begann jetzt die Klickerzeit. Andernorts heißen die Klicker „Murmeln“, was vom Wort Marmor hergeleitet ist. Klicker oder Knicker aber ist schöner, weil onomatopoetisch. Die Wörter ahmen den Laut nach, wenn die Ton- oder Glaskugeln zusammenstoßen. Ein leises Klickern ist schon zu hören, wenn man das Säckchen aufnimmt, worin die Kugeln aufbewahrt werden. Ich hatte eines aus grauem Leinen, das sich oben mit einer eingenähten Schur zuziehen ließ. Reich an Klickern war ich nicht, denn obschon ich mir gelegentlich welche kaufte, verlor ich die meisten wieder. In meiner Nachbarschaft wohnten die Gebrüder Schnitzler. Beide waren Kannibalen im Klickern und unschlagbar, so dass niemand gern mit ihnen spielte. Freilich hatten sie die dicksten und schönsten Glasmurmeln, nicht gut für leichtsinnige Menschen wie mich.

Zum Frühling gehört noch heute für mich der erdige Geruch des Bürgersteigs vor unserem Haus. Einer drehte mit dem Absatz ein spitzes Loch hinein, wir klopften die Erdkrümel wieder platt, ein Strich wurde gezogen, und dann ging’s los, das Schussern und Schieben, das Einlochen, das Hin und Her von Klickergewinn, -verlust und erneutem Einsacken der farbig lackierten Ton- und geheimnisvoll marmorierten Glaskugeln. Es war wunderbar – aber nur bis irgendwann die Schnitzlers kamen, sich ins Spiel drängten und gnadenlos alles abräumten. Außer Klickern konnten sie nicht viel, und daher war der Frühling ihre Saison. Ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist, ob ihre Klickermeisterschaft ihnen beruflich weitergeholfen hat oder ob sie im Lenz ihres Lebens auch schon den Zenit erreicht hatten. Aber manche sind gar niemals in irgendwas richtig gut, da ist es doch besser, wenn man von sich sagen kann: „Als Kind war ich Klickermeister.“ Damit wird man im Alter seinen Enkeln imponieren, so man welche hat, die wissen, was das ist.

Als meine Kinder im Klickeralter waren, lebten wir in der Stadt. Da kann man mit dem Absatz keine Klickerlöcher in die Bürgersteige machen. Sie hatten zum Klickern einen flachen Stumpfkegel aus Plastik mit einer Mulde darin. Da haben sie mir immer ein bisschen leid getan, denn mit der Nase über Plastik und Betonplatten, das ist etwas anderes als den Duft der frühlingshaften Erde zu riechen. Trotzdem werde ich nicht behaupten, dass früher alles besser war. Was nämlich schlechter war, das war natürlich nicht besser.

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