Zirkus des schlechten Geschmacks

Störung wegen fürsorglicher Maßnahmen

TrithemiusSchaeuble02Liebe Kunden,

sollten im Teppichhaus gewisse Bildstörungen auftreten, so bitten wir das zu entschuldigen. Es handelt sich nur um den unerwünschten Nebeneffekt einer fürsorglichen Maßnahme zur Terrorismusbekämpfung, der bald verschwinden wird und dann wie geplant lediglich im Hintergrund abläuft. Mehr über "Stasi 2.0" hier und hier.

Mit verbindlichstem Dank an Innenminister Wolfgang Schäuble für ein allzeit wachsames Auge auf alle Festplatten ...

Trithemius
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Notiert: Ein Detail für die Geschichtsbücher

Vor Jahren erhielt ich einen Rundbrief eines Redakteurs der Frankfurter Rundschau, in dem unter anderem stand, der damalige Chefredakteur Roderich Reifenrath lasse grüßen, zur Zeit „kraxle“ er „mit Bundespräsident Roman Herzog auf der Chinesischen Mauer herum“. Kurz zuvor hatte der damalige FR-Verlagsleiter Utz Grimmer gesagt, von „Verlagsseite“ sei man nicht glücklich über das linke Image der FR. Potentielle Werbekunden würden abwinken, weil die FR ja nur von linken Oberstudienräten gelesen werde. So wunderte ich mich, dass ausgerechnet der Chefredakteur der FR im Tross des Bundespräsidenten auf Chinareise gegangen war.

Es ist verständlich, dass Journalisten der großen Zeitungen prominente Politiker bei deren Auslandsreisen begleiten. Eine Hand wäscht hier die andere. Der Politiker braucht Medienöffentlichkeit. Er will beim Händeschütteln abgelichtet werden. Und manchmal will er im Ausland den mitgereisten Journalisten auch etwas in die Feder diktieren, denn diese Botschaften aus der Ferne werden stets besonders wahrgenommen, spätestens seit Herbert Wehner in Moskau den für Willy Brandt und die SPD verheerenden Satz gesagt hat: „Der Herr (Willy Brandt) badet gerne lau.“

Trotzdem dachte ich, wie staatstragend die angeblich linke Frankfurter Rundschau ist, wenn man die Begleitung des Bundespräsidenten zur Chefsache macht. Diese Nähe der Presse zur Politik ist ein wenig dubios. Journalisten wandern auf einem schmalen Grat, denn gerade bei gemeinsamen Reisen verwischen die Grenzen rasch. Da ist jemand, der Nachrichten produziert, und jemand, der sie verbreitet und bewertet. Wenn diese Zweckgemeinschaft zur Kumpanei verkommt, ist das Berufsethos des Journalisten dahin.

Die Vorrede war nötig, den Zusammenhang herzustellen zur Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung vom vergangenen Samstag. Die Rückseite der SZ-Wochenendbeilage ist stets einem ganzseitigen Interview gewidmet. Letzte Woche stammte das Interview von Anne Will. Interviewt hat sie Frau Merkel. Auf Seite ZWEI wird der Text angekündigt:
SZWILL
Wie bitte? Das ist
ein Detail für die Geschichtsbücher?
Ja, aber nur unter der Überschrift:
„Die Entwicklung der Kumpanei zwischen Politik und Presse im Zeitalter Globalisierung“.

Allerdings wird es eine derartige Überschrift in einem zukünftigen Geschichtsbuch nicht geben, denn es wäre verboten, solche Dinge zu schreiben. Wenn nämlich die Presse sich aus Eitelkeit und purem Eigennutz weiterhin derart an Politiker ranschleimt, werden sie bald machen, was sie wollen. Vor allem wollen sie nämlich eines: regierungfreundliche Blätter, die ihnen das Schalten und Walten nicht erschweren; Zeitungen, die das Volk mit Homestorys erfreuen à la: Die Kanzlerin rührt mit dem Kuli der Kollegin ihr Mineralwasser um.

Man möchte sich fragen, ob es auf schicklicher Basis eine intimere Geste gibt als die. Das taktische Geschick von Frau Merkel zeigt sich hier in voller Größe. Es ist geradezu hinterfotzig, was sie da getan hat. Denn Frau Will konnte ja nicht brüsk reagieren, sondern musste den Distanzverlust zulassen, fühlte sich gar geehrt. Das aber ist eine sehr schlechte Voraussetzung für ein Interview. So konnte Anne Will nicht verhindern, dass die Situation zum Damenkränzchen verkam.

Im Interview geht es um belanglose Dinge. Ob Frau Merkel tatsächlich unter dem Tisch blind eine SMS schreiben könne (kann sie nicht). Und warum Frau Merkel „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“ gut findet (eine schnarchsackige Erzählung von Heinrich Böll aus der Zeit des Dampfradios). Frau Merkel darf auch Wichtiges über das Schweigen sagen, so ein bisschen Kalenderspruchweisheit absondern, die jeder sich aus dem Ärmel schütteln kann, wenn er sich für einen nachdenklichen Menschen ausgeben will. Wenn’s ernsthaft ums Schweigen gegangen wäre, ja warum haben die Damen nicht ihre teeduselige Innigkeit genossen und die Klappe gehalten?

Und warum war Anne Will bei der Bundeskanzlerin? Sie ist nicht Hofberichterstatterin bei Angela Merkel, sondern moderiert die Tagesthemen, eine Sendung, von der man Objektivität erwartet. Im Herbst jedoch wird Anne Will die Ex-Stewardess Sabine Christiansen ablösen. Mit ihrem Merkel-Interview hat Anne Will schon einmal erprobt, ob sie auch in Christansens putzige Fußstapfen passt.

Den Redakteuren der SZ-Wochenendbeilage ist zu danken für dieses erhellende Detail „für die Geschichtsbücher“. Ein hübsches Selbstverständnis offenbart sich hier. Man badet gern exquisit. Denn in der Wochenendbeilage schreiben die „Edelfedern“, den Mächtigen näher als dem dummen Volk. Die "Kollegin" Anne Will ist auch eine „Edelfeder“, zu erkennen am "sündteuren Marken-Kugelschreiber", in Kanzlermineralwasser getauft. Warum hat man dem in Ehrfurcht erstarrenden Leser nicht die Marke mitgeteilt? Wenn man sich sowieso wie Schmocks verhält und jubelnd verbreitet, was die Kanzlerin der Will in den Edelkuli diktiert hat, sollte ein bisschen Product-Placement auch drin sein. Dann gibt es die sündteuren Marken-Kugelschreiber sogar für lau.

(Zirkus des schlechten Geschmacks)
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Paarung wirkt auf die Partner

Prospektbeilagen in Zeitungen sagen oft mehr über den Zustand unserer Kultur als die Zeitungen selbst, da man sich in den Redaktionen zunehmend dem Mainstream verschrieben hat und viel zu selten auf den realen Alltag schaut. Prospektbeilagen gehören zur so genannten grauen Literatur. Sie wird übrigens von der Deutschen Nationalbibliothek gesammelt, falls zukünftige Historiker etwas über den Zeitgeist unserer Tage erfahren wollen. Mit einem „schrägen Blick“ auf die Dinge lässt sich auch jetzt schon eine Ethnologie des Alltags betreiben.

Auffällig an den aufregend typographierten Prospektbeilagen ist die gleichgültige Propaganda für jedwedes Produkt, wobei die Gleichgültigkeit sich oft in gedankenloser Sprachverwendung und in kuriosen Zusammenstellungen findet, wie auch in diesem Beispiel:

Grönemeyer

real,- vom 16. April 2007; Aufmacher Seite 1:
„Frischer Schweinenacken“ und Grönemeyer (rechtes Bild)

Das gleichgültige Nebeneinander der Dinge in den Prospekten korrespondiert mit dem gleichgültigen Nebeneinander der Werte in unserer Gesellschaft, in deren Folge sich alle Werte nivellieren, - wie es auch zum Ausdruck kommt, wenn bei YouTube tagelang das Saddam-Hinrichtungsvideo in der Rangliste neben Paris Hilton auftaucht, wobei sie nur exemplarisch steht für die anderen globalisierten Medientussen, deren Namen mir nicht geläufig sind, aus Gründen der Psychohygiene.

(Zirkus des schlechten Geschmacks)
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Ein Kilo Genie, bitte!

Meisterwerke-an-der-Bedientheke
„Die schönsten Meisterwerke finden Sie nicht im Museum! Sondern an unserer Metzgerei-Bedientheke. Denn unser Metzgermeister achtet für beste Qualität auf Farbe, Struktur und Marmorierung des Fleisches und komponiert für Sie mit viel Geschick genußfertige Kreationen. (...)“

Mehr noch: Das schönste Meisterwerk der Literatur ist kein Buch, sondern der Werbeprospekt des HIT-Markts „Frühling genießen. Ostern feiern!“ der 14. Kalenderwoche 2007, aus dem wir uns erlaubt haben zu zitieren.

Auch beim ungenannten Verfasser dieser literarischen Großtat liegen Genie und Wahnsinn dicht beieinander. Das nimmt dem Creutzfeldt-Jakob-Syndrom jeden Schrecken. Rinderwahnsinn, na und? Wenn die schwammartige Durchlöcherung des Gehirns zu solchen Sätzen befähigt, dann ran an die Metzgerei-Bedientheke.

„Ein Kalbshirn bitte!“


(Zirkus des schlechten Geschmacks)
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Frohe Ostern

saubillige-Ostern-vielen-DankEin Wunder, wie lange Ostern den hartnäckigen Bestrebungen der Kom­merzialisierung durch den Groß- und Einzelhandel widerstanden hat. Doch jetzt hat’s ein End mit „Frohe Ostern!“ und dergleichen heiteren Formeln, die doch nur über den wahren Zustand unserer Ge­sellschaft hinwegtäuschen. Mit „Saubillige Ostern!“ ist die Einheit von Form und Inhalt wieder hergestellt, denn es passt zur pralldreistdummen Ramschkultur des neuen Jahrtausends wie Arsch auf Eimer. Dankbar nehmen wir die Aufklärung über die neue Natur des Osterhasen zur Kenntnis. Er ist ein blödes Schwein mit Hasenohren und preist DVD-Player, Plasmabildschirme und all den anderen Zerstreuungsschrott an, den man vor allem dort findet, wo das Leben banal und billig ist. Die Verheißung des Schweins: auf einem fünf Quadratmeter großen Bildschirm schwafelt Dieter Bohlen von seinen Eiern.

„Alles ist genauso übel, wie ich es mir vorgestellt hatte“, soll der englische Jazzpianist Milton Gregory gesagt haben, als er nach einer Augenoperation zum ersten Mal das Licht der Welt erblickte. Übrigens spricht das Schwein im TV-Werbespot mit der Stimme von Harald Schmidt. Das garantiert auch ihm saubillige Ostern, egal wie viel Kohle, Asche, Schotter ihm die Einspielung seiner Stimme gebracht hat. Denn nach wie vor gilt das gestaltpsychologische Prinzip: Paarung wirkt auf die Partner.

"Saubillige Ostern!" - Vielen Dank, ich bin schon bedient.

Das Teppichhaus wünscht
Frohe Ostern!


(Zirkus des schlechten Geschmacks)
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