Toter Tabak

Heute im Kiosk. Ich sage: „Einmal Van Nelle halbschwer und Canuma Blättchen.“ Der türkische Händler, ein bisschen irritiert, hält die richtige Packung hoch und sagt: „Sie meinen halbschwarz.“

Er ist gewiss der Hundertste gewesen, der mich mit treuherziger Unwissenheit zu schulmeistern versucht. In Aachen, in Köln, in Berlin ist es mir so ergangen und schon oft in meiner neuen Heimatstadt Hannover. Das ist mir eigentlich egal, solange ich den richtigen Tabak bekomme. Was geht’s mich an, wenn die Leute im Irrtum sind. Die Aufklärung ist ohnehin längst gescheitert, und ringsum versackt der postmoderne Mensch in neuen Mythen. Was einer vorbetet, beten Hundertausende nach. Wahr ist, was die meisten für wahr halten. Und daher ist es nicht verwunderlich, dass selbst Google mich fragt: „Meinten Sie: halbschwarzer Tabak“

Nein, ich meinte „Halbschweren Tabak“, „Half zware shag“. Das niederländische „zwar“ bedeutet „schwer“ und nicht „schwarz“. Die volketymologische Übersetzung von „zware“ als „schwarz“ orientiert sich offenbar am Vokal a. Aber was soll denn halbschwarz überhaupt sein? Halbschwarz gibt es gar nicht. Dafür haben wir ein eigenes Wort, nämlich Mittelgrau. So ein Tabak ist im Zweifel tot.

„Einmal mittelgrauen Tabak, bitte! Haben se nich? Dann vielleicht schwarzweißen Tabak? Och nich? Dann geben Sie mir die blaue Packung da. Nein, die mittelblaue. Da ist nämlich mittelbrauner Tabak drin.“
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Schlechter Witz über weißes Zeug

Auf allem lastet dicke Schicht;
Was mag das sein? Man weiß es nicht.
Vermutlich wurden über Nacht,
Rasierschaumdosen leer gemacht.

Und ist erst alles eingeschmiert,
Dann wird das ganze Land rasiert.
Sein Zustand macht die Götter krank,
Drum hobeln sie den Erdball blank.

Entschuldigung, hab’ Spaß gemacht
Und hoffe sehr, dass einer lacht.
Man trinke ruhig einen Tee,
Das weiße Zeug, das ist nur Schnee.
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Moral in der Krise

Einen Skandal in Disney World schilderte der Moderator Sam de Bruyn des flämischen Radiosenders Studio Brussel. Dort gibt es eine Achterbahn, bei der man in einen finsteren Tunnel stürzt. Und just, wo die Gondel in die Tiefe taucht, wird man fotografiert. Beim Verlassen der Achterbahn kommt man an einer Schautafel vorbei, wo die Fotos ausgehängt sind.

Es sei nun seit längerem üblich, dass junge Frauen beim Foto-shooting im Tunnel ihr T-Shirt lüpfen. Deshalb hatte Disney World Leute eingestellt, die die nacktbusigen Fotos aussortieren. Diese Leute habe man jetzt wegen der Krise entlassen müssen. In der Folge seien auf der Aushangtafel massenhaft „bloße Titten“ zu sehen.

Soweit de Bruyns Bericht. Er hat einige Merkmale einer urbanen Sage, sollte er aber der Wahrheit entsprechen, dann zeigt sich hier, wie durch die Auswirkungen der Krise wirklich alles entblößt wird.
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Dreist - Gemein - Verboten: Volontär Hanno P. Schmocks Videotagebuch

Dieses Blog wird derzeit nicht aktualisiert.
Neue Beiträge in der Cafeteria.

Hanno P. Schmocks Videotagebuch (1) hier.

INHALT

1) Ursula von der Leyen erfreut das Prekariat
2) Drei Paar Tanzbein
3) Lasches Rudern auf der Leine
4) Verwirrte junge Menschen, Musik und Hunde
5) Spasss auf dem Hochstand
6) Flussfahrt mit Frau

Hanno P. Schmocks Videotagebuch (2) hier.

INHALT

1 - Mutwillige Polizeipferd-Beleidigung
2 - Fritz Haarmann war da
3 - Suizidversuch in Hosenträgern
4 - Maskierte große Taschen
5 - Worin wir denken
6 - Irres Hochamt
7 - Schließlich: Ein Mann und drei Frauen
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Alarm in den Alpen - Eine Tragikomödie

Alarm-in-den-Alpen-in-3-Akt
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Weltpremiere: The Bankerboys - Das Video



Text, Animation und Grafik: Trithemius. Mit Dank an den Wiener
Musiker Martin Kratochwil alias Kurzweil (Musik, Gesang) und an
den Aachener Filmemacher Marco Röpke (Video).

=> Weiteres Material von und mit den Bankerboys

Yo, yo, liebe Kundinnen und Kunden. Passend zur Weltpremiere des Bankerboy-Videos wurde das Teppichhaus Trithemius für den BOBs Award der Deutschen Welle nominiert. Eine Jury hat 11 Blogs für die Kategorie "Bestes deutsches Weblog ausgewählt". Jetzt entscheiden die Stimmen der Internetnutzer, also deine, deine und besonders deine. Wenn dir das Angebot im Teppichhaus gefällt, dann stimme HIER ab. Helft auch, die Botschaft der Bankerboys zu verbreiten. Herzlichen Dank und ...

beste Grüße
Jules van der Ley

THE BOBs
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Gepfiffener Spatzendreck und fröhliches Schnackseln

Super-MittwochAls dem Redakteur der Aachener Woche aufgetragen ward, etwas über den neuen Ordensritter wider den tierischen Ernst zu vermelden, schlug er die Hacken zusammen, zog den verbalen Sonntagsbratenrock über und schrieb von „Oberen“ und von „Herren“, die irgendwo „weilen“, um einem „designierten Ritter den Ritter anzutragen“. Der Name sei eigentlich das „bestgehütetste Geheimnis“ gewesen, jetzt jedoch würden die Spatzen „in großen Lettern Mario Adorf von den Dächern“ pfeifen.

Es ist also letztens am Münchener Bayerischen Hof ziemlich gefährlich gewesen. Die großen Lettern fielen nur so von den Dächern. Inzwischen pfeifen die Spatzen die Brocken von allen Häusern der Republik. Besonders vor den Kapitalbuchstaben A und M muss man sich in Acht nehmen. Am Ende wird noch jemand von den Initialen eines Ritters wider den tierischen Ernst erschlagen. Inhaltlich ist an der Meldung jedoch nichts auszusetzen, denn tatsächlich war der Name des designierten Ordensträgers ein Geheimnis. Das brauchte allerdings niemand zu behüten, mangels Relevanz. In den letzten Jahren fielen die Namen folgender Personen von den Dächern:
Friedrich Merz - Der lustige Bierdeckel-Steuererklärungs-Propagandist stahl seine Karnevalsrede in Teilen aus dem Internet. Im Jahr 2007 klagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Merz erfolglos vor dem Bundesverfassungsgericht, weil er seine Nebeneinkünfte nicht offenlegen wollte.
Wendelin Wiedeking, Vorstand der Porsche AG - Er strich 2007 ein Gehalt von 60 Millionen Euro ein, und vermutlich deshalb nennt ihn der AKV: „Robin Hood der Wirtschaft“.
Guido Westerwelle, FDP-Parteivorsitzender - In seiner Porsche-Laudatio reimte er werbewirksam: „Ich reih' mich ein als Gratulant und freu' mich schon auf eine forsche Rede aus dem Hause Porsche: Perfekt entworfen, flott und spritzig, stark im Auftritt, schnell und witzig. In seinen Adern fließt Benzin - Hoch lebe Ritter Wendelin!“
Joachim Hunold - Chief Executive Officer (CEO) der Air Berlin PLC; der Ordensritter 2007 wurde von der Liste gestrichen, weil er bei der Ordensverleihung zu dreist für sein Unternehmen warb, weshalb die ARD sich aus der Übertragung der Verleihung zurückziehen wollte.
Gloria von Thurn und Taxis, angeheiratete Fürstin - Die notorische Katholikin bekam den Orden vermutlich wegen ihrer Bemerkung bei Friedman: „Afrika hat Probleme nicht wegen fehlender Verhütung. Da sterben die Leute an AIDS, weil sie zu viel schnackseln. Der Schwarze schnackselt gerne.“
Was ist lustvoller, diesen peinlichen Personen zuzusehen, wie sie einander feiern, oder nach Herzenslust zu schnackseln? Halt, bitte einen Moment Geduld, das steigert die Lust. Es gilt noch nachzutragen, wer die „Herren“ sind, die alljährlich irgendwo „weilen“, um dem „designierten Ritter den Ritter anzutragen“:
Hans Wollgarten, Präsident des Aachener Karnevals-Vereins 1859 e.V., ist selbständiger Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Er betreibt eine Kette von Kanzleien in Deutschland. Die Staatsanwaltschaft Aachen hat kürzlich gegen ihn einen Strafbefehl von 40.000 Euro erlassen. Wegen? Steuerhinterziehung.
Boris Bongers - AKV-Vizepräsident, Diplomkaufmann, Vertriebsdirektor eines Aachener Kosmetikunternehmens und sucht nach eigenen Angaben "autochthone Weine“, womit vermutlich nicht der saure Karnevalswein vom Aachener Wingertsberg gemeint ist.
Patrik Hoesch - AKV-Geschäftsführer, Betriebsökonom und Manager einer großen Kanzlei für Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung. Tugenden laut AKV-Webseite: "Pünktlichkeit, Ehrlichkeit und gewissenhafte Menschen. Untugenden: Hinterlistigkeit und Neid“.
Kein Wunder, dass der Redakteur der Aachener Woche in sprachliche Habacht-Stellung verfiel, angesichts der erlesenen Schar von Wirtschaftsprüfern und Steuerberatern und den anderen „Oberen“, über die er schreiben durfte. Das erinnert an die Bemerkung von Heinrich Heine, der Aachener komme daher wie einer, der den Stock verschluckt hat, mit dem er vorher verprügelt wurde. Man sollte denken, die Zeiten von Kleinmut und Obrigkeitsdenken sind vorbei, doch mit dieser verschmockten Berichterstattung ist Heine noch nicht widerlegt.

Zirkus des schlechten Geschmacks
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Plausch mit Frau Nettesheim - Abwasch beschleunigt die Phasenverschiebung

trithemius & Frau Nettesheim
Trithemius

Phasenverschiebung, Frau
Nettesheim, nicht
„Hasenverschiebung“. So
weit kommt es noch, dass
die unsichtbare Hand
unsere guten deutschen
Hasen abschiebt.

Frau Nettesheim
Und was ist nun mit der
Phasenverschiebung?

Trithemius
Was soll schon sein? Da verschiebt sich was von der einen Phase in die nächste. Systemtheorie, Frau Nettesheim.

Frau Nettesheim
Ach, Ihr neues Hobby.

Trithemius
Das können Sie nennen, wie Sie Kleingeld haben. Seit langem denke ich, dass man das Geschehen in menschlichen Kulturen als System betrachten muss, das sich selbst organisiert. Wenn Sie sich morgen im Fingernagelinstitut Ihres Vertrauens die Nägel feilen und lackieren lassen …

Frau Nettesheim
Es heißt "Fingernagelstudio", Trithemius. Ich habe noch nie eines betreten.

Trithemius
… dann handeln sie zwar aus einem egoistischen Motiv, trotzdem dient es dem Allgemeinwohl. Frau Fingernagelstudio hat am Abend ein Plus in der Kasse und kann sich ein neues Handy kaufen. Der Handyladen-Betreiber schöpft wieder Hoffnung und gibt den Plan auf, seine Familie umzulegen, so dass der jüngste Sohn die Schlachtkaninchen aus dem Stall des Nachbarn befreien kann … und so weiter und so weiter. Es ist doch ein tröstlicher Gedanke, dass ein chaotisches System wie die menschliche Gesellschaft sich irgendwie organisiert, so dass die Summe aller egoistischen oder sozialen Handlungen ein Überleben der Art sichert. Wenn Sie sich allerdings weigern, ins Fingernagelstudio zu gehen, Frau Nettesheim, und stattdessen in einen teuren Käseladen …

Frau Nettesheim
… organisiert sich das System geringfügig anders, mit dem gleichen Ergebnis oder etwa nicht? Sie sagen, es gehe um die Summe der Handlungen.

Trithemius
Ja, ich gebe zu, dass unser Gesellschaftssystem zwar aus individellen Handlungen besteht, aber Ihre Entscheidung für oder gegen das Glück der Maniküre ist innerhalb der Systemtoleranz. Das Gesellschaftssystem ist groß, und alles Große ist schwer zu bewegen. Wenn sich aber die Gegebenheiten ringsum das System verändern, treten Spannungen und Reibungsverluste auf, die alle Elemente des Systems irgendwann zu spüren bekommen. Fast jede menschliche Kultur ist durch Computer und Internet ins Informationszeitalter übergetreten, das dem Einzelnen völlig neue Verhaltensweisen abverlangt. Dazu muss sich jeder neu orientieren und organisieren, und weil das eine Weile dauert, entsteht bei vielen Menschen großer Stress. Der führt beispielsweise in eine Finanzkrise, die wiederum noch mehr Stress erzeugt. Wenn der Druck dann zu stark wird, zerfällt das alte System und gruppiert sich neu, egal, ob Nutznießer der alten Ordnung dagegenhalten. Und diese Neuorganisation des kulturellen Systems ist eine Phasenverschiebung. Es kommen herrliche Zeiten, Frau Nettesheim!

Frau Nettesheim

Ich weiß genau, warum Sie das sagen. In den letzten Tagen haben Sie den Teppichausbesuchern die Hölle heiß gemacht, und jetzt haben Sie ein schlechtes Gewissen und verkünden Sonnenschein.

Trithemius
Ehrlich, ich bin erst gestern darauf gekommen, als ich einen Systemtheoretiker im Fernsehen hörte. Lassen Sie sich morgen die Fingernägel schön machen oder die Männerfanglocken richten, Frau Nettesheim, das hilft bestimmt, die Phasenverschiebung zu beschleunigen.

Frau Nettesheim

Ich hätte einen besseren Vorschlag, Trithemius. Machen Sie das. Noch besser wäre allerdings, Sie würden mal Ihre Küche aufräumen. Sonst wird bei mir der Anpassungsdruck so groß, dass ich mir selbst eine Tasse spüle.

Trithemius
Halten Sie ein, Verehrteste, es würde mich beschämen!
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Bringt die Clowns herbei!

Penn-Karnevalisten-aufgewac

Es laufen ja genug Clowns umher, doch zu packen sind sie kaum. Also ehrlich, wer noch nicht gaga ist, hat nichts zu lachen, denn er weiß vor lauter Schocks und Krisen nicht mehr, in welchem schwarzen Loch sich sein Kopf gerade befindet, und man kann schon froh sein, wenn er wenigstens nicht im Hintern eines Mächtigeren steckt. Wir wissen ja schon seit dem Gilgamesch-Epos, dass im Seelengrund jedes Menschen ein Untier hockt und auf seinen Einsatz wartet. Allerdings scheint die Spezies Mensch neuerdings vom kollektiven Selbstvernichtungswahn befallen zu sein. Einige sind bereits völlig durchgeknallt und wollen den ohnehin drohenden Weltuntergang unbedingt beschleunigen, und zwar auf Lichtgeschwindigkeit. Muss das sein? Ist das eigentlich nötig? Was kann dabei herauskommen außer der Option auf den Nobelpreis? Der ist ja sinniger Weise von einem Dynamitfabrikanten gestiftet worden. Das hat er geschickt eingefädelt, der gerissene Hund. Ihm zu Ehren basteln Wissenschaftler aus aller Welt an einem Knall, den dieser Erdball noch nicht erlebt hat. Damit den Wissenschaftsclowns auch ja keiner die Show vermasselt, wurde CERN übrigens von der Staatengemeinschaft zum exterritorialen Gebiet erklärt. Vor dem schwarzen Loch sind alle Weißkittel gleich.

Die einen mästen ihr inneres Untier mit der Idee vom Nobelpreis, die anderen mit dem Anabolika Geld, und die zu wenig davon haben, lechzen danach, weil sie auch endlich mal Unmensch sein wollen. Die Geld- und Machtsüchtigen haben sich in letzter Zeit mächtig ins Zeug gelegt, den Auftakt des Weltuntergangs zum Megaevent zu machen. Ihre kunstvollen Krisen fegen als apokalyptische Reiter um den Globus. Wo sie waren, wächst kein Gras mehr. Und in jeder TV-Talkrunde sitzen die falschen Propheten in bester Verkleidung, und die Redakteure der Sendungen bemühen sich keinen Deut darum, an den Perücken und falschen Bärten zu zupfen. Nie erfährt der Zuschauer, von welchem Interessensverband die Propheten bezahlt und ausgesandt wurden. Seit Tagen sage ich mir, das Ganze ist ein wirklich gut gebauter Witz mit einer echt knalligen Pointe. Das ist internationale Hochkomik. Den Witz versteht nicht jeder. Es wird Zeit für die karnevalistische Aufarbeitung.

Von den Narren mit den umgedrehten Jakobinermützen war in den letzten Monaten nichts zu sehen. Sie hielten Sommerschlaf. Dabei hätten wir ihr gutgelauntes Föttchenwackeln gut gebrauchen können.
Mier laache ons kapott, dat nennt mer Krise,
Mier laache ons kapott, dat nennt mer schön, …
– das geht leicht in jeden Kopf. Davon brauchen wir dringend mehr. Zum Glück sind wenigstens die Aachener Penn-Karnevalisten aus der Sommerpause zurück, sind aufgewacht, haben sich das Gesicht zurechtgerückt, Schlips um den Hals, Kappe weiter oben, und dann raus ins Geschehen. Wo gibt es was zu lachen? Alaaf, das Welttheater ist aber wirklich ein schwer zu erklärender Witz. Der Kassierer sagt: „Wir machen jut Wetter mit der Portokasse und verschenken einen Riesenscheck!“ Die Rettung kommt vom Präsidenten: „Männer, wir legen noch einen drauf und verteilen die Summe auf zwei Riesenschecks!“ Übrigens, nicht nur die Riesenschecks bestehen überwiegend aus Papier. Ich würde an deiner Stelle auch keine Dollars mehr annehmen, wenn du dir noch was leisten willst vor Alfred Nobels posthumen Ehrenknall.

Zirkus schlechten Geschmacks
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Wild gewachsene Schwerkraft

Fünf

Den nordöstlichen Hang des Aachener Lousbergs hinunter erstreckt sich ein verwilderter Park, der zu einem Kloster im Tal der Soers gehört. Ein Kranz aus hohen Buchen und Kleingehölz umschließt eine ausgedehnte Hangwiese. Im Talgrund liegt ein stiller Teich. Jahrzehnte hat er kaum je Besucher gehabt, denn der Klosterpark war nur vom Kloster aus zugänglich. An den Lousberg grenzt der kleinere Salvatorberg. Am Pass beginnt die Buchenallee. Sie ist von kleinen Buchen gesäumt, deren Kronen den Weg überspannen, und führt bis zum Ende des Lousbergs am Hang entlang. Bei sommerlicher Hitze bieten die Buchen angenehme Kühle. Zudem weht von den Wiesen beständig ein Luftzug herauf, fängt sich in den Blättern und erfrischt den Geist. Links steigt der Lousberg auf, rechts geht der Blick über das Soerstal hinweg, bis hin zum Höhenzug des Aachener Kessels. Am Horizont steht die mächtige weiße Fahne eines Kühlturms, so dass man denken könnte, dort werden die Wolken gemacht.

Auf halber Höhe beschreibt die Buchenallee eine S-Kurve und führt steiler bergauf. Anfangs der Kurve beginnt der Klosterpark. Die Sicht wird von einer Ziegelmauer versperrt. Seit einigen Monaten steht die Pforte offen. Hinter der Pforte geht es ziemlich steil bergab. Einige Wegpassagen haben aus Ziegeln gemauerte Stufen. Herabströmendes Wasser hat die Fugen ausgewaschen, so dass die Tritte wie lückenhafte Gebisse sind, aus denen sich weitere Zähne lockern. An anderen Stellen sind die Stufen unter dem Waldboden verschwunden. Hier war einmal ein ordnender Geist am Werk gewesen, der Halt geben wollte. Er ist weg, und jetzt herrschen andere Kräfte.

Wenn du mitkommst, dann auf eigene Gefahr. So steht es auf dem Schild am Eingang. Man braucht einen langen Atem, denn der Abstieg zieht an den Kräften. Zum Glück scheint heute eine kalte Sonne. Bei Regen wäre der Weg nicht zu wagen. Trotzdem ist nicht ausgemacht, ob wir heil hinunter kommen und erst recht nicht, ob wir später vom Tal aus die Kurve kriegen und den Wiederaufstieg zur Buchenallee schaffen. Mir scheint es sogar unwahrscheinlich. Denn der Park ist nicht so idyllisch wie er auf den ersten Blick scheint. Beim Hinsehen zeigt sich dieses ungeheuerliche Morden und Fressen, aus dem Leben besteht. Du kannst dich im Augenblick sicher wähnen, doch im Mäusehaus herrscht gerade Panik, weil drüben über der Lichtung ein stattliches Raubvogelpaar seine Kreise zieht.

Vier

Eingang Klosterpark

Sobald wir nicht mehr hintereinander absteigen müssen, da vorn zwischen den mächtigen Buchen, möchte ich dir etwas erzählen, worüber ich seit langem nachdenke. Heute Mittag habe ich eine Weile am Münsterplatz in der Sonne gesessen, mal dem bunten Treiben zugeschaut, mal in mein Blöckchen gekritzelt, worüber ich mit dir reden möchte. Der Kaffee wurde kalt, das Blöckchen war bald voll, und dann packt mich die Ungeduld und ich fuhr nach Hause. Natürlich lese ich dir nichts aus meinem Notizbüchlein vor. Stift und Papier haben ja nur geholfen, die Gedanken zu Ende zu denken und zu ordnen.

Vor einigen Jahren traf ich zwei Jugendfreunde wieder, die ich seit meiner Jugend nicht mehr gesehen hatte. Wir fuhren für drei Tage auf die Insel Texel, wo wir damals zusammen gewesen waren. Während dieser nostalgischen Tour wurde mir eine Illusion geraubt. Einer der beiden Freunde war zu meinem Erstaunen in die Chefetage eines weltweit operierenden Unternehmens aufgestiegen. Er hatte nur die Handelsschule besucht, doch offenbar hatte man ihm dort das Rechnen beigebracht. Zuletzt flog er in der Welt umher und betreute die vielen Niederlassungen des Unternehmens. Dann musste er nacheinander zuerst die spanische, dann die englische Filiale schließen. Die Mitarbeiter dort zu entlassen, fiel ihm schwer. Er schlief schlecht, denn es plagte ihn das schlechte Gewissen. Die Londoner Niederlassung hatte Gewinne gemacht, und es gab zwar einen Grund, aber keinen vernünftigen Grund, sie zu schließen. Einer aus dem Vorstand des Mutterkonzerns hatte eine Geliebte in London gehabt und war regelmäßig hingeflogen, wobei ihm die dortige Niederlassung einen guten Vorwand bot. Dann war die Beziehung in die Brüche gegangen, weshalb der Mann das Interesse an London verlor und die Schließung der Niederlassung anordnete. Mein Freund hatte diese irrationale Entscheidung ins Werk gesetzt und erwog seither, den Job zu schmeißen.

Drei

Seinen Bericht mochte ich gar nicht glauben, denn ich hatte mir vorgestellt, auf den Vorstandsetagen würde nach streng rationalen Gesichtspunkten entschieden, abseits von Sentiment und allein den Kapitaleignern verpflichtet. Denn ist es nicht das, was sie uns immer erzählen? Sie entlassen trotz fetter Gewinne tausende Mitarbeiter, und regt sich Kritik, dann schicken sie ihre hoch bezahlten Vasallen in die Talkshows und lassen verkünden, dass man leider so handeln musste, um das Unternehmen sicher aufzustellen. Es gelte, den stets drohenden feindlichen Übernahmen zu begegnen, also brauche man Geld, um seinerseits Unternehmen zu schlucken. Gekaufte Wirtschaftsprofessoren predigen Lohndumping, eitle Chefredakteure von Finanzzeitschriften beklagen die deutsche Gesetzgebung als schier unüberwindbares Hindernis für den Aufschwung, neoliberale Politiker schwafeln von den Kräften der Globalisierung, denen man nur mit der Abschaffung sozialer Errungenschaften wirksam begegnen könne, - und das dumme Vieh nickt ab und fügt sich, weil ja nie die Rede davon ist, dass es nicht um Unvermeidliches, sondern um Entscheidungen von Personen geht, bei denen der Schwanz, die Geldgeilheit oder beides regieren.

Derzeit reichen alle rhetorischen Winkelzüge nicht aus, das Desaster in der Welt zu beschönigen, das durchgeknallte Investment-Banker angerichtet haben. Es fehlen selbst dem neoliberalen Gesocks die Worte angesichts der Billionen, die weltweit verpulvert wurden. Keiner weiß Rat, niemand weiß, welche Erschütterungen noch kommen und wen sie mitreißen werden. Nervosität macht unvorsichtig. Plötzlich zeigt sich die verlogene Gesinnung der Eliten fast unbemäntelt, und wer gut zuhört, kann erstaunliche Bekenntnisse hören, die alles bezeugen, was man sich nicht ausmalen wollte, da sie bar sind jeder Vernunft und Verantwortung.

Zwei

abwärtsWas ist? Ich habe doch gesagt, der Weg ist steil. Halt dich an einem Zweig fest, bevor du abrutschst. Wir sind ja auch schon bald unten, und können uns auf der Bank am Teich ausruhen. Es wird dir gefallen - da ist noch Sonne. Ein dutzend Tritte über die alten Stufen, und wir haben es vorerst geschafft. Wenn du hier strauchelst, liegt es in deiner Verantwortung.

Weißt du, was mich am meisten erstaunt? Am Sturz der Banken ist niemand verantwortlich. Das hat Hilmar Kopper, der Exvorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, im Fernsehen gesagt. Wenn der kleine Finanzmakler am Computer riskante Geschäfte macht, dann tut er das nicht aus Bosheit, sondern aus Not. Wenn er sich weigert, macht er geringere Gewinne als seine Kollegen und muss seine Entlassung fürchten. Das ist einfach so: Die Gesetze des Marktes richten sich immer nach den übelsten Gaunern. Um Schaden abzuwenden, muss man nach deren Gesetzen handeln.

Warum der Staat nicht den schändlichen Verkauf von Haushypotheken an Finanzinvestoren verbietet, wurde Hans Eichel gefragt. Er sagte, dass man den Banken diese Möglichkeiten nicht ganz verwehren dürfe, denn wenn sie einmal kurzfristig klamm sind, weil sie sich beispielsweise mit faulen Finanzpaketen verspekuliert haben, könnten sie sich mit dem Verhökern von Hausbesitzerschicksalen frisches Kapital besorgen. Das ist ulkig, findest du nicht? Der kleine Haubesitzer wird ja nicht gefragt, ob er seiner Großbank mal eben aushelfen will. Seine Existenz, seine Nöte, wenn sein Haus versteigert wird, - kannste vergessen. Leute wie Guido Westerwelle wollen unser Land gänzlich nach diesen Marktgesetzen ausrichten. Der Staat solle sich raushalten und die hemmenden Gesetze abschaffen. Die Politik verstehe sowieso nichts von Wirtschaft, tönte der smarte Chefredakteur, daher sei die IKB in die Pleite gegangen wie auch einige Landesbanken in Öffentlicher Hand. Was die Finanz-Experten und Banker von Wirtschaft verstehen, dürfen wir derzeit erleben. Was wäre, wenn ein schwacher Staat seine Bürger ganz dem Schalten und Walten dieser Leute aussetzen würde?

Sag mal, hat nicht die Raubtier-Wirtschaft längst die Erziehung unserer Kinder übernommen? Vor einigen Jahren habe ich in einem Reisekatalog für Formel-1-Reisen etwas über den exklusiven Paddockclub nahe der Boxengasse gelesen.

Eins

Den Paddockclub, in dem sich die Reichen und Schönen der Welt treffen, diesen heiligen Grund darf man nur mit geputzten Schuhen betreten, weshalb man sicherheitshalber einen Schuhputzer bereithält, falls ein russischer Oligarch noch Blut und Dreck seiner Karriere an den Füßen hat oder so. Du kannst der größte Halunke auf diesem Erball sein, solange man dir nichts beweisen kann, öffnen dir deine geputzten Schuhe alle Türen. Du musst sie nicht mal eintreten, wie du es früher vielleicht gemacht hast.

Die Überbetonung der Äußerlichkeit geht einher mit einem Verlust an Sozialfähigkeit. Und darauf werden bereits die Kinder getrimmt. Von allen Seiten wird getutet und geblasen, was sie unbedingt haben müssen, um ein glücklicher Affe zu sein. Erstklässler beginnen schon, sich zu stylen, Kleidung und Schulzeug müssen von bestimmten Marken sein, und wer da nicht mithalten kann oder will, ist ein Verlierer oder Außenseiter. Echt, ich habe nicht die geringste Lust, das weiter auszumalen. Sonst kriegen wir hier im kalten Schatten das Grausen. Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank hat jetzt ausgeführt, dass (wohl übertragen gemeint) die Eltern die Schuld an der Finanzkrise tragen. Sie erziehen ihre Kinder nicht mehr, bringen ihnen keine Moral und kein Selbstwertgefühl mehr bei. Übersetzt heißt das: Unsere Elternhäuser bringen charakterliche Wracks hervor, die sich später von Banken- und Wirtschaftsbossen zu Raubtierpraktiken verführen lassen. Da trifft natürlich die Wirtschaft keine Schuld. Wenn sich ihnen nur Charakterschweine andienen, was sollen sie machen? Zum Glück können die Verantwortlichen ihre Kinder auf Privatschulen schicken. Dort wird ihnen dann die hohe Schule der Niedertracht beigebracht, damit sie lernen, den Pöbel zu bändigen, der in der rauen Welt ganz unten heranwächst.

Tut mir leid, ich hätte dir sagen sollen, dass uns im Talgrund Sumpf und Schlamm erwarten. Wir haben immerhin den kürzesten Weg hindurch genommen, den ich grad mal finden konnte. Dort drüben führt ein Steg zum Teich. Wir können auf der Bank sitzen, bis die Sonne hinter dem Lousberg verschwunden ist. Der Blick auf Teich und Hangwiese entschädigt für den schwierigen Abstieg. Und sitzt du hier eine Weile, dann kommt dir das ganze Debakel gleich unwirklich vor. Leider kann ich keine Witze erzählen. Ich vergesse nämlich auch von den besten Witzen immerzu den Anfang, den Mittelteil und dann den Schluss.

Wie es wirklich ist, sehen wir früh genug. Mag noch gar nicht dran denken. Wenn wir die Lichtung umrundet haben, steht der Aufstieg an. Da sind die schlammigen Wege von schweren Maschinen zerfahren, und kreuz und quer liegen gefällte Bäume und Knüppel. Trittsteine finden sich kaum. Wir müssen selbst Hand anlegen und wenigstens das Gestrüpp wegräumen. Das geht hier leichter als in der Gesellschaft. Ihr Zustand ist ja nicht rein versehentlich so erbärmlich. Die mit dem wirklich großen Geld bestimmen dieses Geschehen und nehmen die Verelendung vieler Menschen billigend in Kauf. Und selbst demokratischen Regierungen sind zu schwach, ihnen zu widerstehen. Denn die meisten von uns tun sich raus. Wir lassen die Politiker wurschteln und wollen uns nicht für eine menschenwürdige Gesellschaft einsetzen. Viel zu anstrengend. Wir betrachten am liebsten die Oberflächen, solange wir uns darin gespiegelt finden. Wo die Trittsteine wackeln, sucht jeder seinen eigenen Weg. Das nennt sich Individualismus. Wie können aber so viele Individualisten vorankommen, ohne den Park zu zertrampeln? Die Macht der Kirche ist dahin, und die Macht des Geldes ist Sumpf, Schlamm und tiefer Kot. Da soll uns niemand erzählen, das sei der beste Weg für die Gattung Mensch. Wenn wir wieder hinauf wollen, müssen wir politisch denken und sozial handeln, und zwar möglichst bald, bevor wir bis zum Hals und so ...
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