Schräg zu Lamellen - Teppichhaus-Gastautoren (2)

Vor einigen Jahren fuhr ich mit einem neuen, jungen Kollegen in den tiefen Osten, wo wir ein medienkundliches Seminar abhalten sollten. Er war mir sogleich sympathisch, was nicht nur daran lag, dass er in den Raststätten meine noch glimmenden Kippen ausdrückte, was ich in diesem Leben wohl nicht mehr lerne. Auch wusste er jederzeit, wo ich meine Lesebrille hingetan hatte, anders als ich. Später schrieben wir einen Krimi zusammen, der aber noch immer in meiner Schublade liegt, weil der Verlag verlangt hat, wir sollten einen Teil der Handlung in die Eifel verlegen. Und das hieße, ein ganzes Dorf umzusiedeln.

An Mikes "Hellenthal" gefällt mir besonders, dass er eine alltägliche, scheinbar banale Sache in den Blick nimmt, nämlich das Reinigen oder besser eine Reinigung. (Aus mir unerfindlichen Gründen bat er mich, meinen Namen mit unter den Text zu setzen. Aber ich habe nur ein bisschen dran rumgekürzt.) Viel Vergnügen beim Lesen, Trithemius


Hellenthal
von Mike Glimmerstein & Jules van der Ley

Wir reinigen Vertikallamellen direkt am Fenster, stand auf einem Plakat der Reinigung, aus der ich soeben meine Hemden geholt hatte. Man muss nicht alles verstehen, dachte ich. Vertikallamellen? Solche Vertikallamellen hängen also vermutlich längs und nicht schräg am Fenster herunter, nicht schräg wie die billigen blauen Lamellen, die ich im Schlafzimmer habe. Das sind demnach Horizontallamellen, was bei mir hängt. Die kann die Reinigung meines Vertrauens, der Kleinstbetrieb Hellenthal, also nicht reinigen, zumindest nicht direkt am Fenster. Wobei: Ich könnte den Hellenthal ja auch einmal fragen. Wenn er sozusagen schräg zum Objekt arbeiten würde, sich also schräg auf meine Leiter stellen würde...

Stünde Hellenthal schräg zu meinen Horizontallamellen, würde er diese vertikal reinigen. Das sollte funktionieren. Aber ich frage den Hellenthal einfach einmal, was er überhaupt macht, wenn ein Kunde zu ihm kommt und sagt: Meine Lamellen sind verdreckt, und es ist aber so, mein lieber Hellenthal: Meine Lamellen hängen horizontal! Hellenthal lässt einen Horizontalbesitzer gewiss nicht hängen. Auf jeden Fall sind meine Hemden tipp-topp nach der Reinigung durch Hellenthal. Und Ingo Hellenthal ist ein ganz ein cooler Typ.

Vor einem halben Jahr war es so: Ich brachte ihm nicht meine verschmutzten Hemden. Ich brachte ihm Stuhlhussen, also Überzieher für die unschönen Stühle, die ich in meinem Wohnzimmer aufgestellt habe. Ich stand also mit den Überziehern in der Reinigung, direkt vor Hellenthal und wollte ihm dann allerhand zu meinen Stuhlhussen erklären und mich mit ihm beraten und so fort. Ich fragte: Wissen Sie, was das ist? Und Hellenthal guckte gar nicht zu mir hin, nur ganz nebenbei schielte er, der in seiner Reinigung entgegen jedem Gebot der Anständigkeit und Korrektheit stets eine brennende Zigarette im Mund hat, schielte mit seiner brennenden Zigarette im Mund zu mir und sagte gelassen: Stuhlhussen sind das!, die waschen wir, ist besser als reinigen. Waschen wir, werden die Hussen sauber, reinigen wir, wird das nichts. Da bleiben Ihre Hussen dreckig. Dass meine Wäsche sich heute nicht aus Hemden, sondern aus Hussen zusammensetzte, hatte Hellenthal also bereits erkannt, offensichtlich schon bevor ich sein Geschäft betreten hatte mit meinem Wäschekorb in den Armen. Bestimmt hatte der Hellenthal mich bereits beobachtet und sich gedacht: Jetzt bringt er mir keine verschmutzten Hemden, sondern seine Stuhlhussen! Die reinige ich nicht, die wasche ich. Also wusch der Hellenthal meine Stuhlhussen.

Damals hatte ich das Lamellenplakat Wir reinigen Vertikallamellen direkt am Fenster noch nicht bemerkt. Soeben, als ich die Hemden holte, sah ich das Plakat zum ersten Mal. Jetzt denke ich darüber nach, dass ich mir gar nicht vom Hellenthal den Unterschied zwischen waschen und reinigen habe erklären lassen. Der Hellenthal denkt wahrscheinlich auch: Dem sind seine Hussen ja ganz egal! Ist dem ja völlig eins, ob ich seine Hussen wasche oder was auch immer ich mach mit denen. Das ist auch die Wahrheit, Hauptsache sauber, dachte ich. Aber: Das muss ich den Hellenthal beim nächsten Mal, wenn ich ihm wieder Hemden bringe, unbedingt einmal fragen: Was heißt reinigen, was heißt waschen? Und ich muss ihn natürlich fragen, wie das wäre, bräuchten meine Lamellen, die eindeutig keine Vertikallamellen sind, einmal eine Reinigung. Ginge das? Wären meine Lamellen mehr oder weniger problemlos zu reinigen? Vielleicht sogar direkt am Fenster?

Aber es ist am Ende nicht so wichtig: Ich benutze meine Lamellen nicht mehr, auch nicht meine Vorhänge. Ich will immer alles verfügbare Licht in meine Wohnung lassen, also weg mit den Lamellen! Zudem: Wer zu mir hinein schauen möchte, soll das tun können. Ich verstecke nichts vor den Leuten. Das werde ich auch dem Hellenthal sagen, dem rauchenden Reiniger.

Abgelegt unter: Gastautoren
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Plausch mit Frau Nettesheim - Falsche Wachhunde

trithemius & Frau Nettesheim

Trithemius
Fragen Sie sich eigentlich nicht, wer die Hofhunde von der Leine gelassen hat, Frau Nettesheim?

Frau Nettesheim
Wie meinen?

Trithemius
Na, die Meute, die Journaille, die über Horst Köhler hergefallen ist. Zuerst haben sie ihn unisono angekläfft, weil er ausgeplaudert hat, warum deutsche Soldaten in Afghanistan erschießen und erschossen werden.

Frau Nettesheim
Das war eine unglückliche Äußerung. Er hätte wissen müssen, dass er eine Diskussion auslösen würde, die den Regierenden unangenehm ist.

Trithemius
Diese Diskussion fand ja gar nicht statt. Man hat’s schlankweg vom Tisch gewischt, obwohl es die einzige plausible Erklärung für den Afghanistan-Einsatz ist, die ich bislang gehört habe. Aber das darf niemand öffentlich aussprechen, weil dieser Einsatz dann verfassungswidrig wäre. Da vergisst unsere Presse ihre Wächterfunktion und gebärdet sich staatstragend.

Frau Nettesheim
Man will den deutschen Soldaten nicht in den Rücken fallen, keine neue Dolchstoßlegende. Diesen Effekt kann man auch in den US-Massenmedien beobachten. Eine Kritik der Kanonenbootpolitik der US-Regierungen findet nicht statt.

Trithemius
Da wissen Sie mal wieder mehr als ich, Frau Nettesheim. Jedenfalls kam dann der zweite Akt: Köhler trat zurück, und prompt wurde gerufen, er reagiere wie eine beleidigte Leberwurst. Der ARD-Chefredakteur Thomas Baumann ging noch weiter. Er kommentierte, Horst Köhlers Rücktritt sei eine Respektlosigkeit dem deutschen Volk gegenüber. Köhler schmeiße in einer Zeit hin, in der es mehr denn je auf das Vertrauen in die Politik ankomme.

Frau Nettesheim
Das ist ulkig. Wann je hätte sich das deutsche Volk den Bundespräsidenten gewählt? Das Amt wird immer durch Parteienklüngel besetzt. Dass die Verantwortlichen für den Vertrauensverlust an ihren Sesseln kleben, ist die eigentliche Respektlosigkeit gegenüber dem deutschen Volk. Da hat Herr Köhler mehr Respekt bewiesen.

Trithemius
In Wahrheit wissen wir nicht das Geringste über Köhlers Motive. Von den öffentlichen Verlautbarungen durch ihn selbst, Merkel und Westerwelle, glaube ich kein Wort. Ich bin ziemlich sicher, dass man ihn loswerden wollte und ihm keine Wahl gelassen hat. Schon am 22. März 2010 titelte Tageschau.de: „Köhler spricht klare Worte - und keiner hört hin.“ Jetzt hat er etwas gesagt, was sich nicht überhören ließ, und darum hat er den Tritt bekommen von den beiden, die ihn ins Amt gehoben haben.

Frau Nettesheim
Frau Merkel hat gesagt, sie habe alles unternommen, Köhler umzustimmen. Westerwelle will es auch versucht haben.

Trithemius
Merkel wird wohl kaum sagen: „Ich bin froh, dass ich die lästige Fackelsnase los geworden bin.“ Schließlich kennt sie die orwellschen Euphemismen bestens aus der Zeit als FDJ-Sekretärin für Agitation und Propaganda. Aber das macht mir den geringsten Kummer, was mich wirklich sorgt, ist die Journalisten-Meute, die nach ihrer Pfeife tanzt.

Frau Nettesheim
Und ich verstehe endlich Ihren satirischen Filmtipp.

Trithemius
Mist! Wenn man den Witz erklären muss, ist er nicht gelungen.

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Teppichhaus Kurzfilmtipp: Verräter werden eliminiert

Merkel schaltet Köhler aus

FILMHANDLUNG

Bundespräsident Horst Köhler (Deckname: Mister 1,5 Volt) hätte die geheime Mission der Bundeswehr nicht ausplaudern dürfen. Jetzt weiß alle Welt, warum deutsche Truppen am Hindukush lauern und Afghanen erschießen. Noch am Abend besucht die als Zimmermädchen verkleidete Ostagentin Rosa Klebb (Deckname: Das Merkel) den Verräter und zeigt ihm den vergifteten Dorn in ihrem Züchtigungsschuh. Köhler flüchtet über den Balkon und legt sein Amt nieder. FSK-Prädikat: Besonders wertvoll! Freigegeben ab 12 Jahre - Verleih: Bundeszentrale für politische Bildung

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Jeder sein eigner Zeigestock (3) - Nachbetrachtung

O ja Schwester

Erfreulich sachkundig ging es zu in der ersten Freitagsdiskussion im Teppichhaus. Das war inspirierend und gewiss auch anstrengend. Nach einigen interaktiven Lesenächten und dem interaktiven Internetroman „Die Papiere des PentAgrion“ in der Teppichhaus-Cafeteria hatte ich wohl ein bisschen Erfahrung mit solchen Veranstaltungen, doch da ging es in erster Linie um Unterhaltung.
Die Diskussion über Ivan Illichs Streitschrift "Entschulung der Gesellschaft" war eine andere Herausforderung. Dank der anregenden Beiträge durch sieben Bloggerinnen und Blogger bin ich vom Ergebnis angenehm überrascht.

Es diskutierten (alphabetisch geordnet):
Careca - https://gleichgueltig.twoday.net/ und https://careca.blog.de/
Eugene Faust - https://eugenefaust.twoday.net/
Katermurr- https://katermurr.blog.de/
ManfredKonradt - https://www.manfredkonradt.de/
Mimiotschka - https://mimiotschka.twoday.net/
Videbitis - https://koelnbilder.blog.de/
Webgeselle - https://www.graphodino.de/

Herzlichen Dank für eure Beiträge und das engagierte Miteinander!
Die erste Freitagsdiskussion war für mich ein Test und sollte gleichzeitig eine Anregung sein, das Internet als Bildungsmöglichkeit im Sinne Illichs zu nutzen. Was hätte man anders und besser machen können? Was war gut? Und ist es gelungen, den Anspruch annähernd einzulösen? Wie könnte und sollte es weiter gehen? Dazu freut sich auf Ihre und eure Meinung,

Trithemius
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Jeder sein eigner Zeigestock (2) - Diskussionsrunde

Willkommen zur ersten Freitagsdiskussion im Teppichhaus. Unser heutiges Thema ist gleichsam programmatisch. Wir diskutieren Ivan Illichs Streitschrift „Entschulung der Gesellschaft“. Als der universelle Denker Illich seine Kritik an der Institutionalisierung des Lernens aufgeschrieben hat, war das Internet noch in weiter Ferne. Seine Vorschläge, Netzwerke für die freie, selbsttätige Bildung zu organisieren, lassen sich im Internet leicht verwirklichen. Wer sich in einer Sache auskennt, kann bei Wikipedia sein Wissen anbieten, seine Kenntnisse in Foren und Blogs. Wer sich über ein Thema mit anderen austauschen will, kann sie über das Internet finden. Diese Möglichkeit greifen wir heute auf.

Ich habe unsere Veranstaltung nicht inhaltlich, sondern formal gegliedert. Wir nähern uns dem Thema auf verschiedene Denkweisen, wie sie der englische Kreativitätsforscher Edward de Bono erdacht und praktisch erprobt hat, im 6-Hut-Denken.

Das 6-Hut-Denken ist in der Gifgrafik spielerisch veranschaulicht. Damit wir am heutigen Abend bis zur fünften, visionären Stufe gelangen, werde ich etwa alle 20-30 Minuten eine Zäsur machen. Bis Sonntag können jedoch weitere Kommentare abgegeben werden. Den in der Grafik fehlenden blauen Hut des Organisators dieser Diskussion muss leider ich tragen.

Denkhüte-animation

Für jeden der fünf Denkansätze ist nur ein Kommentarstrang vorgesehen. Jedem neuen Kommentarstrang werde ich den passenden Hut voranstellen. Ich bitte alle Teilnehmer sich den jeweiligen Hut aufzusetzen, auf die richtige Zuordnung zu achten und sich möglichst kurz zu fassen. Wir beginnen mit dem weißen Hut, setzen ihn auf und hüpfen hinein .....

3547 mal gelesen

Jeder sein eigner Zeigestock (1) - Freitagsdiskussion

Prolog-Freitagsdiskussion
Schalt das Radio ein: "Einstürzende Altbauten" von Martin Kratochwil
2012 mal gelesen

HEUTE - 20:20 Uhr - Freitagsdiskussion

Einladung zum Gespräch über Ivan Illichs radikale Gesellschaftskritik und seine Ideen zur Entschulung der Gesellschaft. Illich im Zeitalter des Internets, Freitag, 28. Mai, 20:20 Uhr im Teppichhaus Trithemius.

Wer noch keine Gelegenheit hatte, das Buch zu lesen,
Frau Faust hat eine Online-Ausgabe gefunden.
Zur Einstimmung: Jedermann sein eigner Zeigestock.
Einige Informationen über Deschooling hier.
Musiktipp: We don't need no education

Nachfrage-nach-Illich
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Bitte noch mehr schlechtes Wetter

Vor einigen Jahren war ich an einem Sonntagmorgen zum Radsport verabredet. Der Himmel düster, immer wieder regnete es, aber ich setzte mich trotzdem aufs Rad und rollte zu meinem Trainingspartner hin. Er stand nicht vor der Haustür, also klingelte ich. Da guckte er oben im Unterhemd aus dem Fenster.

„Was wollen Sie?!“ rief er.
„Ja, was wohl, Radfahren!“
„Haben Sie mal hochgeguckt?“
„Ja, eben kam sogar die Sonne kurz raus!“
„Die hätten Sie aber fotografieren müssen.
Sonst glaubt Ihnen das keiner!“

An diesen Dialog muss ich in letzter Zeit immer wieder denken, womit das Thema Wetter weitgehend erledigt ist, denn meine Kamera ist kaputt. Allenfalls wollte ich noch sagen, dass man in der galaktischen Wetterzentrale einen Praktikanten rangelassen hat, und das seit Monaten. Das passt natürlich, denn wir werden ja auch von Praktikanten regiert.

Derzeit weinen die etablierten Massenmedien einem ausgemachten Schurken nach, der die Politik verlassen will. Das aber ist nur weiterer Müll, den sie in unsere Köpfe schaufeln wollen. Schurken wachsen schneller nach als Bedarf in Wirtschaft und Hochfinanz ist. Da muss erst ein Platz frei werden, man hat genug eigenen Nachwuchs, weshalb die Adepten so lange in die Politik gehen und ein Parkstudium in Verlogenheit, Hinterlist und kalt lächelnder Bosheit absolvieren. Aber nur, wem es gelingt, die Konkurrenten auszustechen und sich von verwirrten Wählern in irgendein Regierungspraktikum heben zu lassen, der hat Aussicht, bei den wahrhaft Mächtigen einen Beratervertrag zu bekommen und ihn mit Schampus zu begießen.

Gut, das Wetter macht mir üble Laune. Zum Schutz des Volkes vor sich selbst und seinen Antreibern sollte es noch eine Weile so bleiben. Sonst hängen wieder alle in den Biergärten rum oder liegen auf den Wiesen, und derweil ihnen der Grund unter Arsch und Bauch verramscht wird, lassen sie den lieben Gott einen guten Mann sein. Aber das ist er nicht. Wenn’s ihn gibt, dann will er die Welt, wie sie ist. Ein guter Gott würde uns nicht durch Praktikanten piesacken, sondern höchstpersönlich Verstand regnen lassen.

Tretet dAdA rein!

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Wir sinds, die Menschen - Teppichhaus-Gastautoren

Flashback Sonntag, 16. Mai 2010, Hannovers Innenstadt war autofrei. Mitten auf der Kreuzung am Aegidientorplatz gaben sieben Poetry-Slammer eine Kostprobe ihres Könnens, unter ihnen Robert Kayser. Sein Beitrag hat mir besonders gut gefallen, und daher eröffnet er die Reihe mit Gastautoren im Teppichhaus Trithemius. Auch diese Bühne hier ist autofrei, auf der Bühne Robert Kayser. Viel Vergnügen, Trithemius

Klingeln bis die Leine bebt
von ROBERT KAYSER

Gottes Plan ist nicht aufgegangen. Nicht die Menschen, sondern die Autos haben sich die Erde untertan gemacht. Die Menschen huldigen ihren blechernen Herren, indem sie alle öffentlichen Freiflächen mit grauem Asphalt abdecken und weiße Linien und Pfeile darauf malen, weil sich die Autos so besonders wohl fühlen. Dass sie die Fläche nicht mehr selbst nutzen können, sondern sich mit schmalen Bürgersteigen am Straßenrand begnügen müssen, nehmen die Menschen in kauf, denn sie sind ja nur Menschen.

Wenn eine außerirdische Intelligenz versuchen sollte, mit den Bewohnern der Erde in Kontakt zu treten, wird sie als erstes die Autos ansprechen. Wer sich das Treiben auf den Straßen und Plätzen anschaut, kommt niemals auf die Idee, dass diese albernen Zweibeiner irgendwas zu sagen haben oder gar die Herrscher des Planeten sein könnten. Die Besucher aus dem All würden selbstverständlich die Autos als Repräsentanten des Planeten erkennen und als Zeichen des Entgegenkommens die Gestalt ihrer Gastgeber annehmen. Sie würden auch ein paar von diesen zweibeinigen leise winselnden Menschen laut anhupen, wenn sie sich frech aus ihren Reservaten an den Straßenrändern hervorwagen, und ab und zu würden sie auch mal einen totfahren, denn als Tourist versucht man ja gern, die Gepflogenheiten der Einheimischen nachzuahmen. Zum Abschied würden sie ihren Gastgebern noch einen großen Gefallen tun und mit einem gigantischen Abgasfurz die langersehnte Klimakatastrophe auslösen, an der die Autos schon so lange arbeiten, und die ihnen endlich die lästigen Zweibeiner vom Hals schafft.

Aber vielleicht haben wir auch Glück, und die Außerirdischen halten uns für die Herrscher des Planeten, weil sie zufällig am Autofreien Sonntag landen. Da das eher unwahrscheinlich ist, können wir nur hoffen, dass sich unsere galaktischen Freunde noch ein paar Jahrzehnte Zeit lassen und erst dann landen, wenn das Zeitalter des Automobils vorbei ist und wir uns die blechernen Unterdrücker als die zweckdienlichen Transportmittel nutzbar machen, als die sie ursprünglich mal gedacht waren.

Doch woran werden wir erkennen, dass das Zeitalter des Automobils vorbei ist?

Vielleicht daran, dass man mitten auf dem Aegi sein eigenes Wort verstehen kann, auch wenn nicht gerade Autofreier Sonntag ist. Daran, dass man sich vor allem überhaupt mal dort aufhalten kann und will, also mitten auf dem Platz, um dort zu verweilen, und nicht nur am Rand, um rasch von Lärm und Abgasen genervt weiterzulaufen. Daran, dass man auf dem Weg in die Mitte des Platzes oder über den Platz hinweg weder angehupt noch angeschrien, beschimpft oder totgefahren wird.

Wenn man sich doch nochmal in echte Lebensgefahr begeben will, wird man zivilisationsferne Gegenden aufsuchen oder krasse Extremsportarten betreiben müssen. Man wird sich in zwielichtige Milieus begeben oder sehr konfliktfreudig auftreten müssen, wenn man mal wieder angepöbelt oder bedroht werden will.

Das Ende der automobilen Herrschaft wird auch daran erkennbar sein, dass im Radio nicht mehr vor Flitzerblitzern gewarnt wird. Wenn nämlich irgendein Arschloch mit 120 durch dein Dorf oder deinen Kiez fährt, ist das gar nicht – wie du vielleicht denkst – ein bescheuerter rücksichtsloser Raser, sondern nur ein kleiner Flitzer, der ein bisschen Spaß haben will. Und den muss man davor schützen, dass er geblitzt wird. Der ist nämlich ganz traurig, der Flitzer, wenn er geblitzt wird. Und wenn die kleine Lara auf der Straße spielt und der Flitzer sie totfährt, dann ist das ein tragischer Unfall, und dann stellen wir Schilder auf, dass doch die Flitzer bittebitte nicht ganz so schnell flitzen sollen, wegen der Kinder, aus Rücksicht. Freiwillig. Bittebitte. Wir wissen ja, dass ihr die Herren der Welt seid und so, und wir wollen ja auch gar keine Ökosteuern mehr von euch und keine Tempolimits, aber lasst doch bitte ein paar von unseren Kindern am Leben, ihr lieben Flitzerlein.

In der durch die Flitzerblitzer freiwerdenden Sendezeit könnte man stattdessen Einbrecher darüber informieren, welche Häuser mit Alarmanlagen ausgestattet sind und welche nicht. Und Ladendiebe (die natürlich dann Stibitzer hießen) könnte man vor Kaufhausdetektiven warnen (die man heiter-originell Stibitzerknipser nennen wüde): „ffn-Hörer Kevin hat Stibitzerknipser bei Esprit gesehen. Also dort bitte besonders vorsichtig stibitzen. Und jetzt geht’s weiter mit den Superhits der 80er und 90er.“

Auch das Flensburger Punktesystem könnte man dann stattdessen auf Eigentumsdelikte anwenden. Kaufhausdiebstahl bis zu einem Warenwert von 100 Euro: 1 Punkt. Taschendiebstahl auf offener Straße: 4 Punkte, Wohnungseinbruch: 7 Punkte, bewaffneter Raubüberfall mit Geiselnahme und allem Tamtam: 12 Punkte. Und wenn das Punktekonto voll ist, wird die Kreditkarte gesperrt.

Im postautomobilen Zeitalter wird man beim Tippen eines Textes für einen Poetry Slam nicht mehr vor Schreck vom Stuhl fallen, weil draußen mal wieder irgendein Autofahrer seine Hupe ausprobieren muss. Der Text würde auch nicht von den Unbilden der autogerechten Stadt handeln, sondern vielleicht von tyrannischen außerirdischen Invasoren, die uns dann unterdrücken werden.

Und nicht nur die Hochniveauprosa des Poetry Slam, auch die Presseerzeugnisse vom unteren Ende der Niveauskala werden von der Zeitenwende betroffen sein. Bei steigenden Kraftstoffpreisen z.B. werden die armen Leser der Bildzeitung nicht mehr von der schlimmen Benzinwut geplagt werden. Das furchtbare Krankheitsbild der Benzinwut beschreibt ja merkwürdigerweise nicht die Wut auf die skrupellosen Benzinverbrenner, die den Planeten an den Rand des Abgrunds gebracht haben, sondern die Wut der Benzinverbrenner darüber, dass sie in ihrem Zerstörungswahn nicht noch mehr Unterstützung erfahren als sowieso schon.

Auch die bisher stets reich gefüllte Rubrik „Böse böse Radfahrer“ der hier ansässigen Niederniveaublätter aus dem Madsack-Verlag, eine Fundgrube fein gesponnener Holzhammerpropaganda, die einem manchmal richtig Angst machen kann vor diesen skrupellosen Autoverweigerern, wird gut beraten sein, sich neue Opfer zu suchen, denn wir werden dann ganz schön viele Radfahrer sein. Wir werden in der Mitte der Straße fahren, und wir werden klingeln, dass die Erde bebt. Wir werden uns nicht mehr auf Bürgersteige und schmale Fahrradstreifen zwängen lassen. Wir werden die scheißlangweiligen Linien und Pfeile übermalen mit bunten Bildern, wir werden Bäume pflanzen, auch mitten auf der Straße, und wir werden alle Ampeln auf rot stellen als Mahnmale, und dann immer bei rot rüberfahren.

Robert Kayser
Blog: Wirkweise
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Die Weltrettungszentrale ist leider viel zu klein

Genaues über die Weltrettungsfrisur kann ich nicht sagen, denn ich hatte Schwellenangst. „Was geht mich die Weltrettung an?“, habe ich mich getröstet. „Wenn sie mit Föhn und Kamm zu erledigen ist, dann sollen die Frisöre das machen.“ Man könnte mich jetzt für unverantwortlich halten und meinen, es wäre doch gut zu wissen, ob die Schaufensterbilder alle Weltrettungsfrisuren zeigen oder ob es Alternativen gibt.
Weltrettungs-Zentrale

Weltrettungszentrale in Wolfsburg - Fotos/Gif: Trithemius

Es war ja auch nicht viel Andrang vor der Weltrettungszentrale. Ich hätte mir in Ruhe alle rettenden Frisuren zeigen lassen können und vielleicht Lust bekommen, meinen Teil zur Weltrettung beizutragen. Die Frisöre hätten Muße gehabt, mir eine perfekte Weltrettungsfrisur zu verpassen. Später, wenn die Weltrettung dringend wird und großer Andrang herrscht, werden sie gestresst sein und mit Kamm und Schere nur so über die Köpfe huschen. Dann verlassen manche den Laden mit einer nur hin gehudelten Frisur, die überhaupt nicht als Weltrettungshaarschnitt zu erkennen ist.

Das wiederum erlaubt den Rückschluss, dass die Errettung der Welt aus einer derart kleinen Zentrale gar nicht möglich ist. Zum Glück bin ich nicht hineingegangen. Wenn die Weltrettung sowieso scheitern wird, kann ich meine apokalyptische Frisur gleich behalten.

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