Zirkus des schlechten Geschmacks

Bußprediger werfen nicht mit Wattebäuschen

Es ist keine Kunst, aus dem zeitlichen Abstand zu urteilen. Wenn erst die Jahre über alles gegangen sind, kann jeder sehen, wo etwas falsch gelaufen ist, wo Fehlurteil, Verblendung und Irrsinn die Motoren waren. Letztens sah ich einen Film über den deutschen Kaiser, wie er im belgischen Kurort Spa umherstolzierte und dann verbittert ins niederländische Exil übersiedelte, weil man ihn zu Hause in Deutschland nicht mehr haben wollte, nachdem er die ganze Nation ins Grauen des ersten Weltkriegs getrieben hatte. Selten habe ich eine derart groteske, schauerliche Witzfigur gesehen, denn natürlich zeigt sich der Irrsinn einer Zeit am deutlichsten in den Anführern, in den Vorbildern und bei ihren Steigbügelhaltern und Speichelleckern. Hitler, Goebbels, Göring – sieht man sie abgefilmt, da scheinen sie einer Irrenanstalt entsprungen und man möchte nach Zwangsjacken rufen oder zumindest das tun, was in alten Slapstickfilmen eine probate Problemlösungsstrategie war: ihnen einen ordentlichen Tritt in den Hintern verpassen. Aber es bedarf schon des Künstlers, das zu sehen, während die Mehrheit noch dem gleichen Irrsinn verfallen ist und sich solche Figuren zum Vorbild nimmt. Als Charlie Chaplin in „Der große Diktator“ das alberne Getue Hitlers herausarbeitete und überhöhte, so dass es jeder ablesen konnte, da hat er das Visionäre geleistet, hat quasi die Zeit voraus gedreht und dem Betrachter die Einsicht vermittelt, die er sonst erst in der Rückschau hätte gewinnen können.

Die Deutschen tun sich schwer mit der künstlerischen Form der Satire. Trifft eine Satire hart auf den Solarplexus, dann schreien auch jene auf, die gar nicht gemeint sind. Dann wird Tucholsky zitiert, der gefragt hatte, was Satire darf und „Alles!“ befunden hatte. Ja, heißt es dann, Satire darf alles, aber doch nicht so. Denn wirklich treffen darf sie nicht, sondern nur ein bisschen zanken. Den Eliten ist die harmlose Satire am liebsten, denn sie schadet ihnen nicht, trägt im Gegenteil zu ihrer Popularisierung bei, schmeichelt sogar ihre Eitelkeit. Dann reiben sie sich vergnügt die versoffene Nase und suchen grinsend die Kameraobjektive wie alljährlich bei der Verleihung des Ordens wider den tierischen Ernst zu sehen. Und so erwarten sie es auch beim alljährlichen „Derblecken“ am Nockherberg. Ein bisschen Parodie ist fein, aber wehe, es geht ihnen ans Fell, es macht einer einen ordentlichen Holzschnitt und haut ihnen die miese Gesinnung gestrichen um die Ohren, die sie sonst mit rhetorischen Finten zu verbergen verstehen.

Der Herr Guido Westerwelle will nicht mehr eingeladen werden zum Münchner Nockherberg. Er ist beleidigt. Denn der Schauspieler Michael Lerchenberg in der Rolle als Bußprediger Barnabas hat über ihn folgendes gesagt: "Alle Hartz-IV-Empfänger versammelt er in den leeren, verblühten Landschaften zwischen Usedom und dem Riesengebirge, drumrum ein großer Zaun.“ Über dem Eingangstor werde "in großen eisernen Lettern" stehen: "Leistung muss sich wieder lohnen."

Yo, das ist hart, ein unerlaubter Vergleich, politisch nicht korrekt. Den Holocaust darf man nicht benutzen, um eine miese Gesinnung zu kennzeichnen, findet der Zentralrat der Juden und protestiert. Die Verlierer der neoliberalen Politik sind in der Tat nicht an Leib und Leben bedroht. Eine kollektive Vernichtung droht ihnen nicht. Aber sie stecken in schweren Nöten, denn sie werden von Westerwelle und Konsorten geschmäht, von den Medien über den Löffel barbiert, ihrer Menschenwürde beraubt, und das nicht etwa, weil sie den Bestand unserer Gesellschaft gefährden wie gierige Finanzjongleure, gewissenlose Banker, gleichgültige Unternehmensvorstände. Nein, Leuten wie Westerwelle geht es allein um Machterhalt und Schutz der eigenen Wählerklientel. Da greift er zu einem Mittel, das schon immer geholfen hat, sucht die Schuldigen für gesellschaftliche Fehlentwicklungen in einer Minderheit, die sich isolieren lässt und nur wenige Fürsprecher hat. Er drischt auf die Schwachen ein und schert sich einen Dreck um die tatsächlichen Verhältnisse. Da wird man doch einmal fragen dürfen, was mit diesen Menschen eigentlich werden soll, welche Perspektive man für sie vorgesehen hat und wo eine Gesellschaft enden könnte, die mit den Schwachen umgeht, als wären sie eine Sorte Sondermüll.

Der Zentralrat der Juden befürchtet eine Banalisierung des Holocaust. Doch in die Zukunft schauen kann er nicht, kann nicht garantieren, dass sich Ähnliches nicht wiederholt. Wir wissen nicht, welche Fehlentwicklungen durch neoliberales Denken angestoßen werden. Deutschland ist gemessen an Ländern der dritten Welt noch immer ein Paradies. Doch weltweit ist zu beobachten, wie im Namen des entfesselten Raubtierkapitalismus ganze Volksgruppen bis aufs Blut ausgebeutet werden, in Lagern verhungern oder hingemetzelt werden von verbrecherischen Regimen, die gute Beziehungen zur EU und den USA unterhalten, weil man mit ihnen Geschäfte machen kann. Wir erleben im Zuge der Globalisierung eine Nivellierung der Lebensverhältnisse nach unten. Es gibt wenige Gewinner und immer mehr Verlierer. Wo wir in Deutschland in 25 Jahren stehen, wie dann umgegangen wird mit den Verlierern des gnadenlosen Profitstrebens, das weiß auch der Zentralrat der Juden nicht. Und darum sollte er sich auch nicht aufregen, wenn ein düsteres Bild gezeichnet wird, damit es sich die Entscheidungsträger unserer Gesellschaft als Mahnung hintern Spiegel stecken können. Denn nachher zu wissen, ab wann eine Sache falsch gelaufen ist, das ist wie gesagt keine Kunst.

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Erlebnis-Gastronomie bereichert den Glauben ...

Erlebniskonfirmation... wirft aber auch Fragen auf. Sollte ein junger Mensch besser von Rittern, Römern oder Piraten konfirmiert werden? Soll man ihn den wilden Tieren vorwerfen, ihn einen Kopf kürzer machen oder besser über die Planke schicken?

Religionsfreiheit hin oder her: Die Eltern sind hier gefragt, müssen sorgsam abwägen, was genau für ihr Kind das Richtige ist. Nicht nur die Menüfolge, auch die Erlebnis-Konfirmation selbst will sorgsam überlegt sein. Schließlich soll sie bei der Verwandtschaft nachhaltigen Eindruck hinterlassen, ein Erlebnis sein, an das alle sich gern erinnern.

Was also ist besser? Sind es die ulkigen Konfirmations-Riten der Ritter, Römer oder der Piraten? Eventuell sollten sich die Eltern einmal kielholen lassen, bevor sie sich entscheiden. Das macht einen klaren Kopf und guten Hunger.

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Was über Wurst, ihre Wortgeschichte und Wirkung

Einmal übernachtete ich in einem Jugendhotel auf Texel. Ich war der einzige Deutsche unter Niederländern. Einer meiner Bettnachbarn, er schlief drei Betten weiter im Schlafsaal, hatte Gefallen an mir gefunden. Schon morgens nach dem Aufstehen rief er freundlich über die Betten hinweg: „Hans, wollen Sie noch Wurst?!“ Mehrmals am Tag, wann immer wir uns begegneten, fragte er mich das, und ich lehnte jedes Mal dankend ab, fand aber seine beständige Sorge, ich könnte im Land der Käse vielleicht ein Wurstdefizit haben, wirklich nett. Er konnte nämlich nur den einen Satz auf Deutsch und hatte sich durchaus einen treffenden gemerkt.

Damals ist Hans noch ein typischer deutscher Name gewesen, Wurst ist ein typisches deutsches Wort, und der Hanswurst kommt auch aus Deutschland. Er ist schon im 16. Jahrhundert eine beliebte derb-komische Figur auf den Jahrmarktbühnen gewesen.

Dunkel, dunkel, sei die Etymologie von Wurst, sagt das Duden-Herkunftswörterbuch. Ach nein, die Herkunft ist „unsicher“. Dunkel ist nur ihre inhaltliche Zusammensetzung. Der Duden gibt drei Möglichkeiten an: „’Wurst’ gehört im Sinne ‚etwas Gemachtes’ zur Wortsippe von ‚Werk’; ‚Wurst’ gehört im Sinne für ‚etwas Gedrehtes’ zur Wortsippe von ‚Werden’.“ Im Sinne von „etwas Gemischtes, Vermengtes“ könnte Wurst verwandt sein mit „wirr“.

Wurst02Wie kommt wohl die argentinischen Präsidentin Christina Fernandez auf die Idee, Schweinefleisch sei besser als Viagra?“ Schon eine gekringelte Brätwurst lässt doch ganz andere Wirkungen vermuten. Vielleicht lieber nur äußerlich anwenden, etwa als erotisierende Halskette? Christina Fernandez hat das gewiss nicht ernst gemeint. Sie hat sich das wirre Zeug nämlich vor Vertretern aus der Fleischindustrie oben rausgedrückt.

Ist aber wurscht. Was kümmert uns argentinische Folklore. "Es ist Deutschland hier." Und der Deutsche macht’s sowieso nicht mehr gerne, sondern lässt machen. Wie sonst ist zu erklären, dass diese hässlichen Dinger hier sofort nach Erscheinen ausverkauft waren?

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Ein Ackermann ist immer dabei

„Olympia ohne Ackermann“, titelt die Tageschau. Das ist ja wohl eine Ente. Warum sollte Ackermann nicht zu den Olympischen Winterspielen nach Vancouver fliegen? Schließlich war er auch bei den Sommerspielen in Peking. Dr. Josef Ackermann ist schon seit 2002 Mitglied im 14-köpfigen Stiftungsrat der Stiftung Deutsche Sporthilfe. Sportler kommen und gehen, dürfen mal mit, mal müssen sie zu Hause bleiben. Aber die wirklich wichtigen Köpfe werden zu den Olympischen Spielen immer eingeladen und amüsieren sich, wann sie wollen, in der VIP-Lounge. Geld und Leistungssport sind nämlich so unzertrennlich wie Dick und Doof.
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Und heimlich lacht die Peitschenlady

Der folgende Text ist spekulativ, denn die wahren Hintergründe und Abläufe entziehen sich der Überprüfung. Derzeit rauscht der FDP/CSU-Spendenskandal durch den Blätterwald. Den Herbst über hatte die Presse keinen Sinn darin zu sehen vermocht, warum die FDP bei den Koalitionsverhandlungen eine Senkung der Mehrwertsteuer für Hotels von 19 auf sieben Prozent verlangt hatte, inzwischen festgeschrieben im Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Am 1. Januar 2010 trat das Gesetz in Kraft, und quasi über Nacht hat der SPIEGEL nun den Grund dafür gefunden: die Millionenspende des Milliardärs August Baron von Finck an die FDP. Spätestens heute sind beinah alle Zeitungen auf den Zug aufgesprungen, denn ja, man schreibt am liebsten voneinander ab.

Am vergangenen
Sonntag las ich die Vorabmeldung auf der Homepage der ARD-Tagesschau. Darauf informierte ich mich bei Wikipedia über den spendablen Baron. Zu meinem Erstaunen verwies man dort auf einen Artikel im Stern vom 17. Juni 2009: „Milliardär Finck spült viel Geld in die Kassen der FDP“. Fincks Parteispenden an FDP und CSU waren also schon im Juni 2009 offenbar, und ebenso war bekannt, dass von Finck Miteigentümer der Mövenpickgruppe ist, der unter anderem 14 Hotels gehören.

Warum hat sich keine Redaktion an den Stern-Artikel erinnert, als die FDP ihr Wachstumsbeschleunigungsgesetz präsentierte? Waren sämtliche Zeitungsschreiber den Herbst über von einem kollektiven Gedächtnisschwund befallen, so dass sie nichts weiter zu präsentieren wussten als ratloses Kopfkratzen? Es kam wohl auf den richtigen Zeitpunkt an, und der war gekommen, nachdem das absurde Gesetz in Kraft getreten war. Das wirft ein schlechtes Licht auf die angebliche Wächterfunktion unserer Medien. Was hilft’s, die offene Stalltür anzuprangern, wenn die Kuh bereits entflohen ist? Etwa eine Milliarde Euro jährlich kostet das Gesetz den Steuerzahler. Jetzt empört sich Antje Sirleschtov im TAGESSPIEGEL: „Chapeau, Ihr Lobbyisten: effiziente Arbeit. FDP-Politiker hingegen sollten beim Thema Politikverdrossenheit in nächster Zeit tunlichst den Mund halten.“ Auch die Opposition ist inzwischen wach geworden:

„Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Joachim Poß, erklärte: „Jetzt wird transparent, was man erwarten konnte. CSU und FDP sind in den vergangenen Jahren offensichtlich zu reinen Lobbyvereinen degeneriert.“ Die FDP mache sich den Staat zur Beute, kritisierte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast: „Jetzt ist offenbar Zahltag: Auf der einen Seite wird die Mehrwertsteuer für Hotels reduziert, auf der anderen Seite erhält die FDP eine Millionenspende aus der Branche.“ (dpa)

Mich überkommt nicht nur die große Politikverdrossenheit angesichts einer schamlos agierenden FDP, sondern auch wegen einer verschnarchten Opposition, die erst aus der Zeitung erfährt, was die FDP so treibt. Und vor allem frage ich mich, wer denn Presse und Opposition genau jetzt aus dem Winterschlaf geschreckt hat. Qui bono? Wem nutzt es? In jedem Fall hat Bundeskanzlerin Angela Merkel Grund zur Freude. FDP und CSU hatten ihr in den letzten Wochen auf der Nase herumgetanzt mit nicht finanzierbaren Steuersenkungsplänen. Und da ist plötzlich „schwarz-gelber Winterfriede“ eingekehrt. Winterfriede, das heißt: Westerwelle und Seehofer kuschen, denn Frau Merkel hat ihnen mit Hilfe der willfährigen Presse die neunschwänzige Katze gezeigt. Er hier weiß sogar, wie die schmeckt.

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FDP, you make my day

Aus dem süßesten Mittagsschlaf erwacht, wusste ich zuerst gar nicht, woher mich die gute Laune angeflogen hatte. Natürlich hätte ich Grund gehabt, mich über die Konstanz meiner Existenz zu freuen, da ich in meinem eigenen Kopf erwachte und nicht etwa in dem von Kai Diekmann, Kerner oder Beckmann. Eine ganze Weile lag ich noch da und verlängerte im Geist die Liste der Figuren, in deren Kopf ich keinesfalls erwachen wollte. Dieses Spiel ist nicht ungefährlich, denn eine solche Liste hat die Eigenart, immer schmuddeliger zu werden. Man muss die Reihe von unangenehmen Figuren beizeiten beschließen, weit vor nervenden Comedians wie Hans-Olaf Henkel, Hans-Werner Sinn oder Atze Schröder. So kommt man freilich niemals dazu, sich an Leuten wie August Baron von Finck junior zu erbauen.

Wenn August Baron von Finck junior aus einem Mittagsschlaf erwacht, dann gilt sein erster Gedanke natürlich nicht der Liste der Köpfe, in denen er nicht erwachen möchte, sondern seinem Milliarden-Vermögen und dem Umstand, dass es sich per Übernachtung zu vermehren pflegt, was ihn, nebenbei, beinah langweilt, weil’s jeden Tag so ist.

Heute könnte sich August Baron von Finck allerdings köstlich amüsieren. Der SPIEGEL meldet die höchste Parteispende in der Geschichte der FDP. Im Jahr 2009 haben die Freien Demokraten eine gestückelte Parteispende von insgesamt 1,1 Millionen Euro eingestrichen, gespendet von August Baron von Finck, genauer, von seiner Düsseldorfer Substantia AG, Miteigentümerin der Mövenpick-Gruppe, die in Deutschland 14 Hotels betreibt.

Bekanntlich hatte die FDP in den Koalitionsverhandlungen eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes auf Hotel-Übernachtungen von 19 auf sieben Prozent durchgesetzt. Und dieses Finck-Vermögens-Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist just zum 1. Januar 2010 in Kraft getreten.

Jeder Geschäftsmann weiß, das Geld wird im Einkauf verdient. Daher hat August Baron von Finck allen Grund zu Freude, dass die FDP und mithin die ganze Bundesregierung für ein Trinkgeld zu haben war. Aber das Beste daran: August Baron von Finck hat uns allen gezeigt, von welch spottbilligen Marionetten wir regiert werden und an wessen Strippen sie hängen.

Vielen Dank, Herr Baron, das ist dAdA!

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Schweine im Schnee - wir weinen

Auf Höhe der Tierärztlichen Hochschule Hannover riecht es nach Schweinestall. Da habe ich mich schon gefragt, was man dort mit den armen Schweinen alles anstellt. Graben sie etwa betäubte Schweine bis zum Hals im Schneematsch ein, um herauszufinden, wie sich das garstige Gemisch aus tauendem Schnee und Streusalz auf Lederschuhe auswirkt? Oder schießen sie für die Bundeswehr mit Maschinengewehren auf betäubte Sauhaufen, damit Militärärzte die Versorgung großer Fleischwunden üben können?

Etwa im Jahr 1978 mokierte sich die Hochschulzeitschrift Aachener Prisma über den Titel einer Doktorarbeit: „Der Einfluss eines Dauerlaufs auf die Atemfrequenz des galoppierenden Schweins“ – Die Frage hatte sich bislang kaum jemand gestellt, weshalb der Titel der Doktorarbeit als Kuriosum galt. Doch bei der späteren Automatisierung der Schlachthäuser wird man auf die visionäre Studie dankbar zurückgegriffen haben. Wie schnell kann man Schweine aus einem Pferch zum Betäuben jagen, ohne dass eines davon einen Herzinfarkt erleidet und den Zustrom von galoppierendem Frischfleisch behindert?

Im Jahr 2009 galoppierten in Deutschland etwa 20 Millionen Mastschweine zur Schlachtbank, weil der Deutsche Wurst, Kotelett oder Gekröse auf dem Teller haben will, manchmal sogar in XXL-Portionen. Natürlich werden die Schweine in modernen Schlachthöfen „human“ getötet, zuerst begast und im bewusstlosen Zustand geschlachtet und zerhauen. Wenn sie erst einmal in ihre Eintelteile zerlegt und hübsch abgepackt im Supermarkt liegen, muss man gar nicht mehr an die Voraussetzungen der modernen Fleischproduktion denken, ans aufgeregte Galoppieren, ans ängstliche Quieken, an die Zuckungen nackter Flanken, wenn eine stoische Abstechmaschine die Halsschlagader öffnet und das Blut sprudeln lässt.

Heute ereifert sich die Münchner Abendzeitung:

Schweine-im-Schnee
„Schweine als Lawinenopfer – Perverses Experiment gestoppt“

Mal angenommen, über einem Alpendorf geht eine Lawine runter. Man wird dort gewiss auch Schweine vermuten können, zumindest in Ställen. Wären diese Schweine etwa keine Lawinenopfer? Dann ist es doch gut zu wissen, wie der Bauer an seinen geretteten Schweinen die Mund-zu-Mund-Beatmung machen muss, damit sie noch was taugen für den Schlachthof. Weiterhin angenommen, die Redakteure der Abendzeitung wären selbst Schweine und sie dürften wählen zwischen zwei Todesarten, würden sie lieber betäubt im Schnee erfrieren, sanft und süß in den Schweinehimmel aufsteigen oder etwa den Tod im Schlachthaus wählen, mit der Aussicht, von fettigen Mäulern gefressen zu werden?

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Schneechaos? Nein, Schneeschock!

Der Hamstereinkauf hat mich erschöpft. Freilich musste ich alles auf dem Rücken nach Hause tragen. Ich konnte kaum was sehen im heimtückisch leichten Schneetreiben, zumindest wenn ich die Augen geschlossen hielt. Zuletzt lag der Schnee beinah knöchelhoch, und wie ich nach Hause stapfte, dauerten mich die armen Leute, die ihren Hamstereinkauf noch aufgeschoben haben. Es ist fraglich, ob sie sich durch das beginnende Schneechaos noch zum nächsten Supermarkt durchschlagen können. Die meisten sind ohnehin geschwächt von der verheerenden Schweinegrippe oder sogar tot.

Am Montag ist gewiss kaum noch ein Durchkommen. Und wer es trotzdem schafft, kann nichts kaufen, weil die Kreditkarten nicht funktionieren. Zum Glück werden die meisten viel zu erschöpft für Randale sein und sich zum Sterben in die Ecken legen. Eines tröstet: Wer im Einkaufsparadies für immer seine Augen schließt, hat zuletzt das Glück der Erden vor der Nase gehabt. Pech nur, wenn einer beim Toilettenpapier verröchelt.

Die Heizungsthermostate habe ich in allen Räumen bis zum Anschlag aufgedreht, die heiße Dusche vernebelt schon seit Stunden mein Bad, Radio und Fernsehen plärren, die Waschmaschine dreht bei 90 Grad, bengalische Beleuchtung in allen Zimmern, - keiner soll mir nachsagen, ich hätte mich nicht ordentlich um die Klimaerwärmung bemüht. Es hat nichts genutzt, denke ich, derweil ich die verschneite Fensterbank meiner Küche abföhne, wie zum Trotz schickt uns Mutter Erde ein Schneechaos.

schneechaos

Große Sorgen mache ich mir wegen der Tageszeitungen. Was ist, wenn die Zeitungsausträger vom Schneeschock erstarrt in ihren Betten bleiben? Wer bringt uns dann die neusten apokalyptischen Nachrichten? Was nutzt es, wenn eifrige Redaktionen den vielstimmigen Chor der gewiss unzähligen Experten aufzeichnen, um uns vor der Bedrohlichkeit des Lebens zu warnen. Das hilfreiche Geschrei wird vielleicht ungehört verhallen im Schneechaos, quasi verschluckt.

Eines können wir uns freilich auch selber denken: Am Sonntag werden Millionen nicht zur Arbeit kommen. Das deutete sich heute schon an. Jahr um Jahr ist das Schneechaos immer chaotischer geworden. Und jetzt reicht die Kraft der Deutschen nur noch für fünf Tage Arbeit. Das bislang chaotischste aller Schneechaosse fordert seine Opfer. Am Wochenende wird den meisten nur leichte Hausarbeit möglich sein.

Zu meinem Bedauern wird diesen Text niemand lesen können. Ich habe einfach nicht mehr genug Strom im Haus, und das bisschen, was noch aus den Steckdosen tropft, das brauche ich, um auch die anderen Fensterbänke abzuföhnen.
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Teppichhaus-Volontär Hanno P. Schmock kommentiert: Der deutsche Außenminister trägt in der Türkei keine kurzen Hosen

„Ich bin hier nicht als Tourist in kurzen Hosen unterwegs, sondern als deutscher Außenminister. Das, was ich sage, zählt“, sagte Außenminister Guido Westerwelle in der Türkei. Damit sandte Westerwelle ein wichtiges Signal an alle Kritiker zu Hause. Westerwelles Hot Pants bleiben im Koffer. Das zählt. Von Guido Westerwelle darf man kein diplomatisches Umhertänzeln erwarten. Keine kurzen Hosen beim Staatsbesuch! Basta. Auch wenn er damit die türkische Regierung konsterniert und das türkische Volk bitter enttäuschen muss.

Freilich ist Westerwelles Absage auch eine Ohrfeige für jene, die erwartet hatten, er werde die altväterliche deutsche Diplomatie revolutionieren und wenigstens im Außenamt die kurzen Hosen einführen. Ihnen bleibt nur, auf den globalen Temperaturanstieg zu hoffen. Das sind trübe Aussichten, angesichts eisiger Temperaturen und dichter Schneedecke.

Dass nichts zählt, was Touristen in kurzen Hosen sagen, ist die weitere, bittere Erkenntnis, die uns Guido Westerwelle von der fernen Türkei aus in den Reisekatalog schreibt:

Der Tourist in kurzer Hose
labert das Bedeutungslose.


Guido Westerwelle versagt sich in der Türkei die heißen Hosen. Mancher mag es bedauern. Für den Weltfrieden ist es ein Segen. Der attraktive deutsche Außenminister setzt Maßstäbe, gewagt und trotzdem kokett. Man wird sich seinen Namen merken müssen.

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1a Auto-Lobbyismus, Tagesspiegel!

Heute meldest du freudig: „Berlins Straßen sind die sichersten Deutschlands - Jedes Jahr ein neuer Rekord: Die Zahl der Verkehrstoten sinkt seit Jahren. 2009 registrierte die Polizei nur 48 Tote, so wenig wie nie zuvor seit dem Krieg. Zum Vergleich: 1999 waren es 103 Tote, 2008 noch 59.“

Mal angenommen, es findet sich wieder mal ein toter Säugling in einem Kühlschrank. Titelt ihr dann: „Deutschlands Kühlschränke werden immer sicherer“ – und weiter: „Ein neuer Rekord: 2009 ist ein Säugling weniger im Kühlschrank gefunden worden als im Vorjahr.“?

Gell, da herrscht ein bisschen Chaos im Redaktionsoberstübchen.

Schläfenschraube (landläufig "Vogel"),
Trithemius

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